Russland: Schamanen sollen bei Schnupfen, Ehekrach und Computerproblemen
helfen
Schon wieder erkältet, Probleme in der Beziehung oder Stress mit dem
Computer? Der Gang zum Schamanen hilft. Zumindest glauben das zahlreiche
Menschen in der sibirischen Republik Burjatien. Von Francoise Michel (AFP).
In der sibirischen Republik Burjatien östlich des Baikalsees sind die
Zauberpriester wieder zu einer festen Institution geworden. Nachdem sie
unter stalinistischer und sowjetischer Herrschaft jahrelang verbannt waren,
haben sich die Schamanen in der mehrheitlich buddhistischen Republik neben
Medizinern, Psychotherapeuten und Geistlichen wieder etabliert. Rund 200
Männer und Frauen üben den Kult laut einer offiziellen Statistik der
Schamanen in Burjatien aus. Eine beträchtliche Zahl von selbst ernannten
Wunderheilern, die eher als Scharlatane bezeichnet werden dürften, kommt in
der russischen Republik nördlich der Mongolei noch dazu.
"Schamanismus – die friedlichste Religion der Welt"
Nadeschda Stepanowa, die seit zehn Jahren Kranke heilt und Kontakt zu
Geistern aufnimmt, sieht rosige Zeiten für ihre Zunft voraus. "Der
Schamanismus wird sich weiter ausbreiten, weil er die friedlichste Religion
der Welt ist." Er komme schließlich aus der Natur, und die erschöpfe
sich nie, sagt die ehemalige Russischlehrerin. Jeden Tag kümmert sich
Stepanowa um die Sorgen und Probleme von bis zu dreißig Klienten. Für ihre
Sitzungen, so erzählt sie, versetzt sie sich in Trance und nimmt Kontakt zu
den Vorfahren des Kunden auf - oder zu ihren eigenen, etwa wenn der Kunde
ein Russe ist. Für die Zeremonie legt sich die Medizinfrau einen 20
Kilogramm schweren Mantel mit eingearbeiteten Schlangenhäuten,
Metallamuletten und anderen exotischen Utensilien um. Trommeln, Spiegel,
Kronen und aufgespießte Pferdeköpfe hängen an der Wohnzimmerwand. Die
Bezahlung für die aufwändigen Riten in der verarmten sibirischen Republik
ist karg. "Einen Sack Kartoffeln oder ein paar Rubel" bekommt
Stepanowa für ihre Sitzungen, je nach dem, was die Kunden geben können.
Dabei hatte die Schamanin keine Alternative zu ihrer übersinnlichen
Karriere: "Du wirst auserwählt, du wählst nicht aus", beschreibt
sie die Initiation. Als sie im Alter von 39 Jahren schwer krank geworden
sei, habe ihr eine Stimme aufgetragen, andere Menschen zu heilen, sagt
Stepanowa.
Zum Arzt und zum Schamanen
Eine 21-jährige Studentin zieht dagegen den Arzt vor, wenn sie erkrankt.
"Meine Großmutter geht dann aber für mich zum Schamanen", fügt
Nastia hinzu. Vor wichtigen Prüfungen vergießt ihr Vater einige Tropfen
Wodka, die Glück bringen sollen - auch dies ist eine zentrale Geste im
Schamanismus.
Rituale gegen drohende Scheidung
Ein westlicher Geschäftsmann erinnert sich daran, wie sein Computer
andauernd abstürzte. Seine Sekretärin ließ daraufhin den Schamanen
kommen, der die bösen Geister aus dem Rechner vertreiben sollte. Die
übernatürlichen Dienste nahmen auch Taxifahrer Slawa und seine Frau in
Anspruch. Sie hätten sich fast scheiden lassen, jetzt geht schon wieder
alles besser. "Wir müssen uns einen Monat lang jeden Tag mit einem in
Wodka getränkten Lappen waschen und den Lappen dann verbrennen",
beschreibt Slawa die Therapie. Soziologieprofessor Wladimir Antonow war
zuletzt im Januar beim Schamanen: "Ich hatte schlecht geträumt. Ich
hatte den Eindruck, jemand wollte mir etwas Böses."
Buddhistische Priester, Schamanen und Schulmediziner
Verschiedene Formen des Schamanismus finden sich auch in den Kulturen
Zentralasiens, Nord- und Südamerikas und Indonesiens. In Burjatien leben
und arbeiten buddhistische Priester, westlich ausgebildete Schulmediziner
und Schamanen friedlich nebeneinander. Witali Grif, ein Psychiater in der
Hauptstadt Ulan Ude, kann mit den Schamanen gut leben und verweist auf seine
Berufserfahrung: "Ich arbeite seit 17 Jahren und habe noch nie von
jemandem gehört, der nach dem Besuch beim Schamanen verrückt geworden
ist."
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