News 22.  02. 2002

Russland: Schamanen sollen bei Schnupfen, Ehekrach und Computerproblemen helfen

Schon wieder erkältet, Probleme in der Beziehung oder Stress mit dem Computer? Der Gang zum Schamanen hilft. Zumindest glauben das zahlreiche Menschen in der sibirischen Republik Burjatien. Von Francoise Michel (AFP).

In der sibirischen Republik Burjatien östlich des Baikalsees sind die Zauberpriester wieder zu einer festen Institution geworden. Nachdem sie unter stalinistischer und sowjetischer Herrschaft jahrelang verbannt waren, haben sich die Schamanen in der mehrheitlich buddhistischen Republik neben Medizinern, Psychotherapeuten und Geistlichen wieder etabliert. Rund 200 Männer und Frauen üben den Kult laut einer offiziellen Statistik der Schamanen in Burjatien aus. Eine beträchtliche Zahl von selbst ernannten Wunderheilern, die eher als Scharlatane bezeichnet werden dürften, kommt in der russischen Republik nördlich der Mongolei noch dazu.

"Schamanismus – die friedlichste Religion der Welt"

Nadeschda Stepanowa, die seit zehn Jahren Kranke heilt und Kontakt zu Geistern aufnimmt, sieht rosige Zeiten für ihre Zunft voraus. "Der Schamanismus wird sich weiter ausbreiten, weil er die friedlichste Religion der Welt ist." Er komme schließlich aus der Natur, und die erschöpfe sich nie, sagt die ehemalige Russischlehrerin. Jeden Tag kümmert sich Stepanowa um die Sorgen und Probleme von bis zu dreißig Klienten. Für ihre Sitzungen, so erzählt sie, versetzt sie sich in Trance und nimmt Kontakt zu den Vorfahren des Kunden auf - oder zu ihren eigenen, etwa wenn der Kunde ein Russe ist. Für die Zeremonie legt sich die Medizinfrau einen 20 Kilogramm schweren Mantel mit eingearbeiteten Schlangenhäuten, Metallamuletten und anderen exotischen Utensilien um. Trommeln, Spiegel, Kronen und aufgespießte Pferdeköpfe hängen an der Wohnzimmerwand. Die Bezahlung für die aufwändigen Riten in der verarmten sibirischen Republik ist karg. "Einen Sack Kartoffeln oder ein paar Rubel" bekommt Stepanowa für ihre Sitzungen, je nach dem, was die Kunden geben können. Dabei hatte die Schamanin keine Alternative zu ihrer übersinnlichen Karriere: "Du wirst auserwählt, du wählst nicht aus", beschreibt sie die Initiation. Als sie im Alter von 39 Jahren schwer krank geworden sei, habe ihr eine Stimme aufgetragen, andere Menschen zu heilen, sagt Stepanowa.

Zum Arzt und zum Schamanen

Eine 21-jährige Studentin zieht dagegen den Arzt vor, wenn sie erkrankt. "Meine Großmutter geht dann aber für mich zum Schamanen", fügt Nastia hinzu. Vor wichtigen Prüfungen vergießt ihr Vater einige Tropfen Wodka, die Glück bringen sollen - auch dies ist eine zentrale Geste im Schamanismus.

Rituale gegen drohende Scheidung

Ein westlicher Geschäftsmann erinnert sich daran, wie sein Computer andauernd abstürzte. Seine Sekretärin ließ daraufhin den Schamanen kommen, der die bösen Geister aus dem Rechner vertreiben sollte. Die übernatürlichen Dienste nahmen auch Taxifahrer Slawa und seine Frau in Anspruch. Sie hätten sich fast scheiden lassen, jetzt geht schon wieder alles besser. "Wir müssen uns einen Monat lang jeden Tag mit einem in Wodka getränkten Lappen waschen und den Lappen dann verbrennen", beschreibt Slawa die Therapie. Soziologieprofessor Wladimir Antonow war zuletzt im Januar beim Schamanen: "Ich hatte schlecht geträumt. Ich hatte den Eindruck, jemand wollte mir etwas Böses."

Buddhistische Priester, Schamanen und Schulmediziner

Verschiedene Formen des Schamanismus finden sich auch in den Kulturen Zentralasiens, Nord- und Südamerikas und Indonesiens. In Burjatien leben und arbeiten buddhistische Priester, westlich ausgebildete Schulmediziner und Schamanen friedlich nebeneinander. Witali Grif, ein Psychiater in der Hauptstadt Ulan Ude, kann mit den Schamanen gut leben und verweist auf seine Berufserfahrung: "Ich arbeite seit 17 Jahren und habe noch nie von jemandem gehört, der nach dem Besuch beim Schamanen verrückt geworden ist."

 

 

 
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