Frankreich: "Renaissance" des Religionsunterrichts ?
Was seit der Trennung von Kirche und Staat in Frankreich 1905 undenkbar
schien, wird jetzt infolge des 11. September vorsichtig angedacht: die
Wiedereinführung des Religionsunterrichts.
Von Carola Schneider / ORF Paris
Im streng laizistischen Frankreich war Religionsunterricht seit 1905
undenkbar. Jetzt denkt der sozialistische Unterrichtsminister Jack Lang
zumindest darüber nach: Zwar soll es keine eigenes Unterrichtsfach geben
– aber fächerübergreifend soll wieder über Entstehung und Wesen der
verschiedenen Religionen informiert werden. Der Anlass dafür: die
Terrorakte des 11. September.
Was ist "Dreifaltigkeit" ?
Es gibt kaum eine Ecke in Paris, an der man nicht auf eine Bezeichnung
religiöser Herkunft stößt: etwa die Tempelstrasse im jüdischen Viertel,
oder die Metrostation "Dreifaltigkeit" nahe Montmartre. Doch die
laizistisch erzogenen Kinder in den öffentlichen Schulen können damit
wenig anfangen. So meint ein Schüler: "Dreifaltigkeit, also, ich weiss
nicht, was das bedeutet. Ich habe zwar schon von Vater, Sohn und Heiligem
Geist gehört, aber von Dreifaltigkeit nicht."
Islam mit Terror gleichgesetzt
Kein Wunder, sind doch religiöse Themen und Symbole längst aus
Frankreichs Klassenzimmern verschwunden. Besonders die Diskussionen, die
nach den Attentaten vom 11. September in Frankreich besonders heftig
geführt wurden –immerhin leben hier zwischen 4 und 5 Millionen Muslime
– haben große Informationslücken aufgezeigt. Während die einen Gefahr
laufen, Islam mit Terrorismus gleichzusetzen, gestehen andere offen ein,
einfach zu wenig über Religionen zu wissen.
Wissenslücken
Diese Lücken will der sozialistische Unterrichtsminister Jack Lang nun
schliessen. Er stützt sich auf den Bericht des Philosophen Régis Debray,
wonach das Unwissen über Religionen Intoleranz und Missverständnisse
fördert. Deshalb, so Jack Lang, soll in den öffentlichen Schulen- von der
Volksschule bis hin zum Gymnasium- Religion wieder eine Rolle spielen.
Fächerübergreifend
Weil ein religiös gefärbter Unterricht allerdings den Prinzipien der
laizistischen Republik widersprechen würde, geht es mehr um eine
Information über die Religionen- also etwa die Geschichte und die
geographische Verbreitung von Christentum, Judaismus und Islam.
Kein eigenes Schulfach
Auch soll nicht ein eigenes Fach Religion geschaffen werden, sondern die
Information fächerübergreifend, also etwa in Geschichte, Philosophie, und
im Fremdsprachenunterricht aufgegriffen werden. Zudem will Lang ein
Europäisches Institut der Religions- wissenschaften gründen, in dem die
Forschungsarbeiten auf dem Gebiet Religion koordiniert werden sollen.
Umsetzung fraglich
Angesichts der bevorstehenden Parlamentswahlen in Frankreich ist die
Umsetzung dieser Pläne noch ungewiss- die Diskussion über ein heikles
Thema ist aber jedenfalls eröffnet.