News 18. 05. 2002

Das göttliche Spiel am heiligen Rasen. Fußball und Religion

Ein Radiotipp für Pfingstsonntag

Tao: Fußball und Religion. 21.15 Uhr bis 22.00 Uhr in Ö1.

 

Der siegbringende Treffer hat die Mannschaft erlöst, die Verlierer mussten eine Kabinenpredigt über sich ergehen lassen. Woche für Woche werden Pilgerfahrten in fremde Stadien unternommen. Archaische Choräle der Fans prägen die Atmosphäre in den Stadien. Der Fußballsport ist reich an religiösen Symbolen und Ritualen.

 

Die Fußball-Regeln sind seit hundert Jahren fast unverändert geblieben, sie sind leicht verständlich und auf der ganzen Welt in gleicher Weise gültig. Die Zuseher im Stadion werden zur agierenden kollektiven Masse. Ritualisierungen, Gesänge, Sprechchöre verschmelzen zu archaisch anmutenden Inszenierungen.

Das Stadion als Dom

Das Fußballfeld als Altarraum. So sieht es der Pastoraltheologe Paul Zulehner. Und der heilige Boden, der Rasen, darf nur von wenigen Auserwählten betreten werden. Das Kirchenvolk gruppiert sich auf den Rängen und vollzieht die Inszenierung mit. Stadien werden für die Fans zu Kultstätten des Massenspektakels. Der Germanist und Rapidplatzbesucher Wendelin Schmidt-Dengler spricht von der "Kommunion der Masse", die im Stadion vollzogen wird. Stadienbesuche seien ritualisierte Inszenierungen mit Volksfestcharakter.

Massenspektakel

Der Schriftsteller und Literaturpreisträger Elias Canetti hat mehrere Jahre in unmittelbarer Nähe des Rapidplatzes in Wien-Hütteldorf gewohnt. Teile seines Werkes "Masse und Macht" sind durch die Fußballfans beeinflusst worden. "Während der sechs Jahre, die ich dieses Zimmer bewohnte, versäumte ich keine Gelegenheit, diese Laute zu hören. Den Zustrom der Menschen sah ich unten bei der Stadtbahnstation. Es fällt mir schwer, die Spannung zu beschreiben, mit der ich dem unsichtbaren Match aus der Ferne folgte. Es waren zwei Massen, das war alles, was ich wußte, von gleicher Erregbarkeit beide und sie sprachen dieselbe Sprache. Manchmal saß ich während des Ereignisses am Tisch in der Mitte meines Zimmers und schrieb. Aber was immer es war, was ich schrieb, kein Laut vom Rapid-Platz entging mir. In Manuskripten jener Zeit, die ich bewahrt habe, glaube ich noch heute jede Stelle eines solchen Lautes zu erkennen, als wäre er durch eine geheime Notenschrift bezeichnet."

Gemeinschaftserlebnis

Das rituelle Gemeinschaftserlebnis ist ein wesentlicher Bestandteil des ganzheitlichen Fußballerlebnisses. So Hans Gerald Hödl, Kulturwissenschafter am Institut für Religionswissenschaft der Universität Wien. Er sieht Parallelen zwischen den rituellen Aspekten in der Religion und im Sport. Viele Menschen suchen das Gemeinschaftserlebnis. In der Religion etwa in Prozessionen oder Gottesdiensten, im Sport in Großereignissen wie Fußballspielen.

Helden werden "gemacht"

Der Starkult und das Heroentum ist ein bedeutender Bestandteil des Fußballgeschäfts. So Hans Gerald Hödl. Nicht nur im Fußball, sondern auch in anderen Bereichen des Sports, im Filmgeschäft oder in der Rockmusik. Und die Spielergagen sind in kaum mehr greifbare Dimensionen gestiegen. Real Madrid hat etwa für den französischen Nationalspieler Zinedine Zidane 77 Millionen Euro Ablöse gezahlt. Helden werden auch künstlich erzeugt. Imageberater und Fußballmanager versuchen immer häufiger, Typen zu konstruieren, die besser vermarktbar sind. In Österreich steckt dieser Trend jedoch noch in den Kinderschuhen. Der Umgang mit Stars zeigt ein latentes religiöses Bedürfnis der Massen, eine Art moderner Volksreligiosität.

Orientierung in der Alltagswelt

Fußballvereine sind für lokale Gemeinschaften und Regionen von enormer Bedeutung, so der Historiker Wolfgang Maderthaner. Sie bieten so etwas wie Heimatgefühl, Orientierung und Verankerung in der Alltagswelt. Die Vereine in ihrer heutigen Struktur leben in den Herzen vieler Fans als geschichtlich gewachsener Mythos. Der regionale und über Jahrzehnte gewachsene Hintergrund des jeweiligen Vereins ist für den ein wichtiger Bestandteil der Glaubensinhalte, so der Historiker.

Fußball und Sozialarbeit

Fußball spielt auch in der kirchlichen Sozialarbeit eine wichtige Rolle. Besonders in Südamerika, wo rund 30 Millionen Straßenkinder ihr Leben zwischen Drogenkonsum, Prostitution und Kleinkriminalität fristen. In Brasilien betreiben unter anderem die Salesianer Fußballschulen. In der Kombination von Spiel und Gemeinschaftserlebnis sollen die Straßenkinder in ein geordnetes Leben geführt werden. Wichtig sind Ernährung und medizinische Versorgung. Der Salesianerpater Carlos Rey: "Fußball ist eine der beliebtesten Beschäftigungen in Brasilien. Fußball ist die beste Art, wie man mit den Kindern in Kontakt kommen kann. Als wir begonnen haben, mit den Kindern zu arbeiten, haben wir in eine Hand einen Fußball genommen und in die andere eine Jause. Und wir haben mit den Kindern in den Parks Fußball gespielt."

"Jesus liebt Dich"

"Jesus liebt Dich" "Gott ist treu". Diese und ähnliche Botschaften werden immer öfter von Fußballprofis nach Torerfolgen in die Fernsehkamerals gehalten. Besonders in der deutschen Bundesliga ist es modern geworden, christliche Botschaften öffentlich zu inszenieren. Und es sind vor allem Fußballprofis aus Südamerika, die Werbung für ihren Glauben machen.

Medienspektakel

Was im 19. Jahrhundert in England als exklusive bürgerliche Freizeitbeschäftigung einiger weniger begonnen hatte, ist längst zu einem weltumspannenden Medienspektakel geworden. Bei TV-Rechten und pay-TV geht es um Milliarden Euro. Die europäischen Spitzenvereine sind zu wirtschaftlichen Großunternehmen geworden, mit Jahresbudgets jenseits der 70 Millionen Euro. Längst hat die gute alte Vereinsstruktur ausgedient. Immer mehr Vereine gehen an die Börse. Manchester United konnte im Vorjahr bei einem Rekordumsatz von über 200 Millionen Euro einen Gewinn von 35 Millionen Euro erwirtschaften. In wenigen Tagen wird die Fußball-Weltmeister- schaft 2002 eröffnet. Die Spiele der 32 in Japan und Südkorea vertretenen Nationalmannschaften werden Milliarden Menschen am Fernsehschirm verfolgen. Die Fußball-WM wird, so sind sich die Experten einig, das größte Medienspektakel werden, das die Menschheit je gesehen hat.

 

 

Literatur:

 

Martin Amanshauser u.a. (Hg.): Mein Leid am Mittwoch. Eine (fuß)-ballistische Bestandsaufnahme. Krems 2002

 

Roman Horak und Wolfgang Maderthaner: Mehr als ein Spiel. Fußball und populare Kulturen im Wien der Moderne. Wien 1997

 

Karl Kastler: Fußballsport in Österreich. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Linz 1972

 

Johann Skocek und Wolfgang Weisgram: Im Inneren des Balles. Eine Expedition durch die weite Wirtschaftswunderwelt des österreichischen Fußballs. Wien 1994

 

Roman Horak und Wolfgang Reiter (Hg.): Die Kanten des runden Leders. Beiträge zur europäischen Fußballkultur. Wien 1991

 

David Kadel: Fußball Gott. Erlebnisberichte vom heiligen Rasen. Asslar 2002

 

 

 

 

 

 
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