Das göttliche Spiel am heiligen Rasen. Fußball und Religion
Ein Radiotipp für Pfingstsonntag
Tao: Fußball und Religion. 21.15 Uhr bis 22.00 Uhr in Ö1.
Der siegbringende Treffer hat die Mannschaft erlöst, die Verlierer
mussten eine Kabinenpredigt über sich ergehen lassen. Woche für Woche
werden Pilgerfahrten in fremde Stadien unternommen. Archaische Choräle der
Fans prägen die Atmosphäre in den Stadien. Der Fußballsport ist reich an
religiösen Symbolen und Ritualen.
Die Fußball-Regeln sind seit hundert Jahren fast unverändert geblieben,
sie sind leicht verständlich und auf der ganzen Welt in gleicher Weise
gültig. Die Zuseher im Stadion werden zur agierenden kollektiven Masse.
Ritualisierungen, Gesänge, Sprechchöre verschmelzen zu archaisch
anmutenden Inszenierungen.
Das Stadion als Dom
Das Fußballfeld als Altarraum. So sieht es der Pastoraltheologe Paul
Zulehner. Und der heilige Boden, der Rasen, darf nur von wenigen
Auserwählten betreten werden. Das Kirchenvolk gruppiert sich auf den
Rängen und vollzieht die Inszenierung mit. Stadien werden für die Fans zu
Kultstätten des Massenspektakels. Der Germanist und Rapidplatzbesucher
Wendelin Schmidt-Dengler spricht von der "Kommunion der Masse",
die im Stadion vollzogen wird. Stadienbesuche seien ritualisierte
Inszenierungen mit Volksfestcharakter.
Massenspektakel
Der Schriftsteller und Literaturpreisträger Elias Canetti hat mehrere
Jahre in unmittelbarer Nähe des Rapidplatzes in Wien-Hütteldorf gewohnt.
Teile seines Werkes "Masse und Macht" sind durch die Fußballfans
beeinflusst worden. "Während der sechs Jahre, die ich dieses Zimmer
bewohnte, versäumte ich keine Gelegenheit, diese Laute zu hören. Den
Zustrom der Menschen sah ich unten bei der Stadtbahnstation. Es fällt mir
schwer, die Spannung zu beschreiben, mit der ich dem unsichtbaren Match aus
der Ferne folgte. Es waren zwei Massen, das war alles, was ich wußte, von
gleicher Erregbarkeit beide und sie sprachen dieselbe Sprache. Manchmal saß
ich während des Ereignisses am Tisch in der Mitte meines Zimmers und
schrieb. Aber was immer es war, was ich schrieb, kein Laut vom Rapid-Platz
entging mir. In Manuskripten jener Zeit, die ich bewahrt habe, glaube ich
noch heute jede Stelle eines solchen Lautes zu erkennen, als wäre er durch
eine geheime Notenschrift bezeichnet."
Gemeinschaftserlebnis
Das rituelle Gemeinschaftserlebnis ist ein wesentlicher Bestandteil des
ganzheitlichen Fußballerlebnisses. So Hans Gerald Hödl,
Kulturwissenschafter am Institut für Religionswissenschaft der Universität
Wien. Er sieht Parallelen zwischen den rituellen Aspekten in der Religion
und im Sport. Viele Menschen suchen das Gemeinschaftserlebnis. In der
Religion etwa in Prozessionen oder Gottesdiensten, im Sport in
Großereignissen wie Fußballspielen.
Helden werden "gemacht"
Der Starkult und das Heroentum ist ein bedeutender Bestandteil des
Fußballgeschäfts. So Hans Gerald Hödl. Nicht nur im Fußball, sondern
auch in anderen Bereichen des Sports, im Filmgeschäft oder in der
Rockmusik. Und die Spielergagen sind in kaum mehr greifbare Dimensionen
gestiegen. Real Madrid hat etwa für den französischen Nationalspieler
Zinedine Zidane 77 Millionen Euro Ablöse gezahlt. Helden werden auch
künstlich erzeugt. Imageberater und Fußballmanager versuchen immer
häufiger, Typen zu konstruieren, die besser vermarktbar sind. In
Österreich steckt dieser Trend jedoch noch in den Kinderschuhen. Der Umgang
mit Stars zeigt ein latentes religiöses Bedürfnis der Massen, eine Art
moderner Volksreligiosität.
Orientierung in der Alltagswelt
Fußballvereine sind für lokale Gemeinschaften und Regionen von enormer
Bedeutung, so der Historiker Wolfgang Maderthaner. Sie bieten so etwas wie
Heimatgefühl, Orientierung und Verankerung in der Alltagswelt. Die Vereine
in ihrer heutigen Struktur leben in den Herzen vieler Fans als geschichtlich
gewachsener Mythos. Der regionale und über Jahrzehnte gewachsene
Hintergrund des jeweiligen Vereins ist für den ein wichtiger Bestandteil
der Glaubensinhalte, so der Historiker.
Fußball und Sozialarbeit
Fußball spielt auch in der kirchlichen Sozialarbeit eine wichtige Rolle.
Besonders in Südamerika, wo rund 30 Millionen Straßenkinder ihr Leben
zwischen Drogenkonsum, Prostitution und Kleinkriminalität fristen. In
Brasilien betreiben unter anderem die Salesianer Fußballschulen. In der
Kombination von Spiel und Gemeinschaftserlebnis sollen die Straßenkinder in
ein geordnetes Leben geführt werden. Wichtig sind Ernährung und
medizinische Versorgung. Der Salesianerpater Carlos Rey: "Fußball ist
eine der beliebtesten Beschäftigungen in Brasilien. Fußball ist die beste
Art, wie man mit den Kindern in Kontakt kommen kann. Als wir begonnen haben,
mit den Kindern zu arbeiten, haben wir in eine Hand einen Fußball genommen
und in die andere eine Jause. Und wir haben mit den Kindern in den Parks
Fußball gespielt."
"Jesus liebt Dich"
"Jesus liebt Dich" "Gott ist treu". Diese und
ähnliche Botschaften werden immer öfter von Fußballprofis nach
Torerfolgen in die Fernsehkamerals gehalten. Besonders in der deutschen
Bundesliga ist es modern geworden, christliche Botschaften öffentlich zu
inszenieren. Und es sind vor allem Fußballprofis aus Südamerika, die
Werbung für ihren Glauben machen.
Medienspektakel
Was im 19. Jahrhundert in England als exklusive bürgerliche
Freizeitbeschäftigung einiger weniger begonnen hatte, ist längst zu einem
weltumspannenden Medienspektakel geworden. Bei TV-Rechten und pay-TV geht es
um Milliarden Euro. Die europäischen Spitzenvereine sind zu
wirtschaftlichen Großunternehmen geworden, mit Jahresbudgets jenseits der
70 Millionen Euro. Längst hat die gute alte Vereinsstruktur ausgedient.
Immer mehr Vereine gehen an die Börse. Manchester United konnte im Vorjahr
bei einem Rekordumsatz von über 200 Millionen Euro einen Gewinn von 35
Millionen Euro erwirtschaften. In wenigen Tagen wird die
Fußball-Weltmeister- schaft 2002 eröffnet. Die Spiele der 32 in Japan und
Südkorea vertretenen Nationalmannschaften werden Milliarden Menschen am
Fernsehschirm verfolgen. Die Fußball-WM wird, so sind sich die Experten
einig, das größte Medienspektakel werden, das die Menschheit je gesehen
hat.
Literatur:
Martin Amanshauser u.a. (Hg.): Mein Leid am Mittwoch. Eine (fuß)-ballistische
Bestandsaufnahme. Krems 2002
Roman Horak und Wolfgang Maderthaner: Mehr als ein Spiel. Fußball und
populare Kulturen im Wien der Moderne. Wien 1997
Karl Kastler: Fußballsport in Österreich. Von den Anfängen bis in die
Gegenwart. Linz 1972
Johann Skocek und Wolfgang Weisgram: Im Inneren des Balles. Eine
Expedition durch die weite Wirtschaftswunderwelt des österreichischen
Fußballs. Wien 1994
Roman Horak und Wolfgang Reiter (Hg.): Die Kanten des runden Leders.
Beiträge zur europäischen Fußballkultur. Wien 1991
David Kadel: Fußball Gott. Erlebnisberichte vom heiligen Rasen. Asslar
2002