Prominentes Personenkomitee "gegen nationale Rhetorik und billigen
Populismus"
"Alte Wunden" und "nationale Mythen" dürfen den
Einigungsprozess nicht gefährden, heißt es in dem Aufruf. Gemeint ist
damit unter anderem die Debatte über die "Benes-Dekrete".
26 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus mehreren Ländern
Europas warnen vor nationalistischen und populistischen Tönen in der
europäischen Politik. "Aus der Mitte des Kontinents werden Stimmen
laut, die die Traumata aus der Zeit der Kriege des vergangenen Jahrhunderts
neu beleben, alte Wunden aufreißen und an alte Verbrechen erinnern",
heißt es in dem Aufruf in bewusster Anspielung auf die Debatte um die
Benes-Dekrete. Diese waren die rechtliche Grundlage für die Vertreibung der
deutschsprachigen Bevölkerung aus der heutigen Republik Tschechien nach
1945.
"Dunkle Mythen" und "nationale Rivalitäten"
"Das verheißungsvoll begonnene Bündnis, das auf ein vereintes und
daher friedliches Europa abzielt, wird von dunklen nationalen Mythen und der
Manipulation mit alten Rivalitäten untergraben", heißt es weiter in
dem Appel, der unter anderem von Nationalratspräsident Heinz Fischer und
Erhard Busek, EU-Beauftragter für den Balkan-Stabilitätspakt, und dem
Prager Weihbischof Vaclay Maly unterzeichnet wurde.
Von Cohn-Bendit bis Karl Schwarzenberg
Weitere Unterzeichner sind die Schriftsteller György Konrad, Peter
Esterhazy und Günther Grass, der deutsche Bundestagspräsident Wolfgang
Thierse, die beiden ehemaligen polnischen Außenminister Wladyslaw
Bartoszewski und Bronislaw Geremek, Ungarns ehemaliger Präsident Arpad
Göncz, der polnische Publizist Adam Michnik, die tschechische
Senatspräsidentin Petra Buzkova, der EU-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit und
Karl Schwarzenberg.
"Lagerstätten alter Verbrechen"
"Zu Beginn des dritten Jahrtausends, nach der grausamen Lektion der
Ohnmacht der Europäer auf dem Balkan, stehen die Tore der Europäischen
Union offen", wird in dem Appell festgehalten. Das heutige gemeinsame
Europa sei mit seiner Rücksichtnahme auf die nationalen Identitäten
"der einzige verlässliche Schutz gegen die Versuchung, aus den
Lagerstätten der alten Verbrechen Gewinn zu ziehen".
"Eindringlinge aus dem Jenseits der Geschichte"
Man dürfe nicht zulassen, dass in das vereinte Europa "mit uns auch
Eindringlinge aus dem Jenseits der Geschichte eintreten" - Hitler und
Stalin, die Europa auf Jahrzehnte hinaus gespalten hatten. "Welchem
Volk der europäischen Mitte ist nichts angetan worden, welches Volk der
europäischen Mitte hat nicht auch selbst Verbrechen begangen?"
Grotesker, politischer Kitsch
Die Unterzeichner rufen "alle, deren Stimme Gewicht hat", auf,
zuhause, aber auch überall anderswo "gegen eine so genannte 'nationale
Rhetorik' und billigen Populismus aufzustehen, mögen diese auch als
grotesker politischer Kitsch erscheinen".
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