News 15. 10. 2002

Vertriebene Juden verlangen spanische Staatsangehörigkeit

Mehr als 500 Jahre nach der Vertreibung der Juden aus Spanien haben deren Nachfahren die spanische Staatsangehörigkeit verlangt.

Die spanische Regierung und das Parlament sollten die spanischstämmigen Juden rehabilitieren und anerkennen, dass sie zu Spanien gehörten, sagte der Präsident des Weltverbandes der Sepharden, Nessim Gaon, am Montag bei der Eröffnung der bisher größten Konferenz dieser Bevölkerungsgruppe in Barcelona. Das bislang letzte Treffen dieser Art hatte vor 70 Jahren in Wien stattgefunden.

Konferenz mit 600 Experten

Gaon forderte Spanien ferner auf, Mittel zur Verbreitung der jüdisch-spanischen Sprache des Ladino bereit zu stellen. Auf der Konferenz beraten 600 Experten über das kulturelle Erbe der einst blühenden jüdischen Gemeinden in Spanien. Außerdem sollte ein Internationales Sephardim-Institut gegründet werden.

Vertreibung vor einem halben Jahrtausend

Die Vertreibung der Juden aus Spanien liegt 510 Jahre zurück, aber die Sephardim haben die Heimat ihrer Vorfahren nie vergessen. Die spanisch-stämmigen Juden behielten ihre spanischen Namen und manche besitzen heute noch die Schlüssel, mit denen ihre Vorfahren 1492 beim Verlassen Spaniens ihre Häuser verschlossen hatten. Viele pflegen noch die Sprache des Ladino, das dem Spanischen aus der Zeit des 15. Jahrhunderts ähnelt.

Mehr als ein Viertel aller Juden spanischer Herkunft

Von den 16 Millionen Juden weltweit sind nach Schätzungen etwa 4,5 Millionen spanischer Herkunft. "Diese werden längst nicht alle Spanier werden wollen", sagt der Kongress-Veranstalter Giaco Ventura. "Wir verlangen von Spanien also nichts Unmögliches."

Spanien als "Bastion des militanten Christentums"

Als Königin Isabella I. von Kastilien und König Ferdinand II. von Aragón 1492 die Ausweisung verfügten, gaben sie den Juden drei Monate Zeit, ihr Hab und Gut zu verkaufen und Spanien zu verlassen. Das "Katholische Königspaar" beendete in diesem Jahr mit der Einnahme Granadas den Krieg gegen die Mauren und wollte das Land zu einer Bastion des militanten Christentums machen. Mit der Vertreibung der etwa 100.000 bis 500.000 Juden ging Spanien ein großes geistiges und wirtschaftliches Potenzial verloren. Die Vertriebenen hatten einen Mittelstand von Handwerkern, Händlern, Ärzten und Verwaltern gebildet. Spanien war mehrere Jahrhunderte lang das geistige Zentrum der jüdischen Welt gewesen, Toledo galt als "Jerusalem des Westens".

Zuflucht in Nordafrika und der Türkei

Die spanischen Juden wurden in alle Welt verstreut. Viele suchten in Nordafrika oder der heutigen Türkei Zuflucht. Über Umwege gelangten die Nachfahren einiger Vertriebener im 16. und 17. Jahrhundert auch nach Hamburg, wo sich zuvor eine größere Gemeinde von portugiesischen Juden niedergelassen hatte. Im 19. und 20. Jahrhundert kehrten allmählich Juden nach Spanien zurück.

Jüdische Viertel wieder restauriert

Heute haben die jüdischen Gemeinden in Spanien 15.000 bis 20.000 Mitglieder. Viele Städte haben ihre "juderías", die mittelalterlichen jüdischen Viertel, restauriert und zu Sehenswürdigkeiten gemacht. Zu den wichtigsten gehören die alten Judenviertel in Toledo, Córdoba, Gerona oder Barcelona. Erstaunlicherweise bewahrte ein großer Teil der Sephardim - trotz der Vertreibung der Vorfahren - über die Jahrhunderte hinweg eine liebevolle und nostalgische Beziehung zu Spanien. Der aus Bulgarien stammende Harry Moreno (73), der 1951 über Syrien und Libanon nach Spanien übersiedelte, sagte kürzlich der Zeitung "La Vanguardia": "Als ich spanischen Boden betrat, fühlte ich, dass ich nach Hause zurückgekehrt war."

 

 

 

 
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