Baldige
Entscheidung im
deutschen Kopftuchstreit
Ein
Kleidungsstück als erbittert diskutiertes Grundsatzproblem für das
Deutsche Bundesverfassungs- gericht. Am Mittwoch soll entschieden werden.
"Was
bedeutet eigentlich eine Lehrerin, die ein Kopftuch trägt, beziehungsweise
das Kopftuch selbst?" Diese Frage des deutschen
Bundesverfassungsrichters Winfried Hassemer wird am Mittwoch zu klären
sein. Gespannt wird die endgültige Entscheidung im jahrelangen Rechts-
streit zwischen der muslimischen Lehrerin Fereshta Ludin und dem Land
Baden-Württemberg erwartet, das das Unterrichten mit Kopftuch nicht
erlauben will. In Deutschland als Grundsatz- problem diskutiert, ist die
Frage in anderen christlichen Ländern kaum ein Thema.
Politische
Manipulation vs. Religionsfreiheit
Zu
Beginn des Streits vor sechs Jahren war es zunächst lediglich ein Problem
zwischen der in Afghanistan geborenen, inzwischen eingebürgerten Muslimin
Ludin und dem Land Baden- Württemberg. Doch zwei Jahre nach den
Terroranschlägen des 11. Septembers ist daraus ein grundsätzliches Problem
des Verhältnisses des christlich geprägten deutschen Staates zum Islam
geworden. Während die einen von einer Kopftuch tragenden muslimischen
Lehrerin religiös-politische Manipulation der Schüler befürchten, plädieren
andere für das Recht auf Toleranz für alle Glaubensrichtungen. "Wie
viel Religion, speziell fremde Religion, verträgt eine Gesellschaft?"
- so formulierte Hassemer bei der mündlichen Verhandlung am 3. Juni das
Grundproblem.
Streitfrage:
Welche Wirkung hat das Kopftuch-tragen auf die Schüler?
Im
Kern geht es bei dem Streit darum, zwei Verfassungsgrundsätze gegeneinander
abzuwägen: Auf der einen Seite steht das verfassungsrechtliche Gebot der
strikten Neutralität des Staates in weltanschaulichen Fragen, das das
Gericht bereits 1995 im Kruzifix-Urteil bestätigte. Ludin beruft sich
dagegen auf ihre Grundrechte der Religionsfreiheit und der unbeschränkten
Zulassung zu öffentlichen Ämtern unabhängig vom religiösen Bekenntnis.
Hassemer
versuchte das Problem zu lösen, indem er neben der rechtlichen Seite auch
das Erfahrungswissen zu Wort kommen ließ. Daher die Frage, welche Bedeutung
ein Kopftuch habe: "Ist es ein reines Kleidungsstück, ein Zeichen
einer religiösen Haltung oder ein Symbol verweigerter Integration?"
Reagierten Schüler mit einem Schock oder mit Ermutigung oder vielleicht gar
nicht auf das Kopftuch einer Lehrerin? Die Anwälte Ludins verweisen darauf,
dass es mehrere Fälle gebe, in denen muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch
unterrichteten, ohne dass es zu Problemen komme.
Schwarzer:
„Verfassungsgericht ist naiv oder befangen“
Genau
in dieser Vorgehensweise der Verfassungsrichter sieht die Wortführerin der
Kopftuch-Gegner, die "Emma"-Herausgeberin Alice Schwarzer, einen
Beweis dafür, dass das höchste deutsche Gericht dieser "so brisanten
Frage auf jeden Fall nicht" gewachsen sei. "Entweder ist das
Verfassungs- gericht naiv oder es ist befangen", heißt es in einem
"Emma"-Editorial Schwarzers. Hassemer setze bereits voraus, dass
Ludin wirklich religiöse Motive habe, wohingegen Schwarzer die Lehrerin
"in durchaus politischen Zusammenhängen" sieht.
Als
einen Beweis gegen Ludin führt Schwarzer die Schule an, an der diese zur
Zeit unterrichtet: Eine islamische Grundschule in Berlin, deren Trägerv-
erein "Islam Kolleg e.V." im vergangenen Jahr die "taz"
verklagt hatte, die sie als "Tarnorganisation" der vom
Verfassungsschutz beobachteten islamischen Gemeinschaft Milli Görüs
bezeichnet hatte. Das Landgericht Berlin entschied, dass das Kolleg nach dem
damaligen "Stand der Glaubhaftmachung keinen Anspruch darauf hat, nicht
als Tarnorganisation von Milli Görüs bezeichnet zu werden".
Ludin
bekräftigt freiheitlich- demokratische Werthaltung
Ludin
wirft Schwarzer übelste Verleumdung und Diffamierung vor. Schon bei der mündlichen
Anhörung im Juni hatte sie beklagt, ihr werde wegen des Kopftuchs nicht
zugetraut, hinter den Werten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu
stehen. Sie betrachte aber sowohl den Islam als auch die
freiheitlich-demokratischen Werte als "Bestandteil meiner Persönlichkeit".
Das Kopftuch werde dagegen fälschlicher- weise gleichgesetzt "mit
Dingen, von denen ich mich schon zur Schulzeit klar distanziert habe",
etwa die Unterdrückung von Frauen. Wegen ihrer Distanzierung von bestimmten
Strömungen des Islam habe sie 1987 Saudiarabien verlassen.
Kopftuch-Verbot
in türkischen Schulen
Gegner
des Kopftuchs verweisen gerne auf die Türkei: In dem mehrheitlich
islamischen Land herrscht eine strikte Trennung von Staat und Religion, die
das Tragen von Kopftüchern an Schulen generell verbietet. Warum sollte also
im nicht-islamischen Deutschland das Kopftuch für Lehrerinnen erlaubt sein,
fragen sie. Andererseits gibt es in anderen christlichen Ländern wie
Schweden, Dänemark oder Italien kein entsprechendes Verbot und auch keine
Grundsatzdebatte wie in Deutschland.
|