News 14. 01. 2005

Historiker: Vatikan gegenüber NS-Regime "schaumgebremst"

Seine Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Regime in Deutschland ist kein Ruhmesblatt für den Vatikan. Diese Einschätzung bestätigt ein aktuelles Buch des deutschen Historikers Gerhard Besier ("Der Heilige Stuhl und Hitler-Deutschland"). 

Obwohl er die NS-Rassenideologie rundweg ablehnte, begegnete der Heilige Stuhl dem Hitler-Regime in den 1930er Jahren schaumgebremst, um Repressalien gegen die dortige katholische Kirche zu verhindern. Hilferufe verfolgter Juden seien vom Vatikan ignoriert worden, außer wenn es sich dabei um Konvertiten zum Katholizismus gehandelt habe.

Auf klare Worte verzichtet

Besier bekam für sein Buch Zugang zu den bisher unter Verschluss gehaltenen Archiven der apostolischen Nunziaturen in München und Berlin für die Jahre 1922 bis 1939. Der Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung in Dresden stimmt zwar nicht in die harsche Kritik an, die an dem angeblich "deutschlandfreundlichen" Papst Pius XII. (1939-58) geübt wird. Er hält aber fest, dass Pius XII. schon während seiner Zeit als Nuntius in München und Berlin (1917-30) und Kardinalstaatssekretär (1930-39) aus außenpolitischen Gründen auf klare Worte gegenüber dem NS-Regime verzichtet habe.

In Faschismus Verbündete gesehen

Der Vatikan habe unter der Ägide seines Vorgängers, Papst Pius XI., überdies den fatalen Fehler gemacht, in Faschismus und Nationalsozialismus einen Verbündeten gegen liberale und bolschewistische kirchenfeindliche Tendenzen zu sehen. Während das beim italienischen Diktator Benito Mussolini und den katholischen Diktaturen in Österreich, Polen oder Spanien anfangs der Fall gewesen sei, habe der Nationalsozialismus der Kirche niemals den geforderten Freiraum zugestanden.

Nicht nur passiv

Besier weist nach, wie der Heilige Stuhl in der Auseinandersetzung mit dem aufstrebenden Nationalsozialismus nicht nur passiv war, sondern auch Zerschlagung der katholischen Opposition gegen Hitler duldete und sogar die deutschen Bischöfe zurückpfiff, als sie gegen das Hitler-Regime mobil machten. Stattdessen begrüßte Pius XI. die Machtergreifung Hitlers im März 1933 mit den Worten: "Der Hitler ist der erste und einzige Staatsmann, der öffentlich gegen die Bolschewisten spricht. Bisher stand der Papst alleine da."

Beziehungen zu Berlin

Das vom Hitler-Regime im Mai 1933 geschlossene Konkordat mit dem Heiligen Stuhl stellte sich für diesen eher als Bürde heraus. Obwohl Übergriffe auf Katholiken auf der Tagesordnung standen und konvertierte Juden trotz heftiger Interventionen der Kirche nicht von den Rassengesetzen ausgenommen wurden, brach der Heilige Stuhl seine diplomatischen Beziehungen zu Berlin nicht ab. "Die Welt soll sehen, dass wir alles versucht haben, um in Frieden mit Deutschland zu leben", verteidigte Pius XII. diese Politik noch im März 1939.

Gutachten blieben in Schublade

Mehrere von Vatikan-Experten ausgearbeitete theologische Gutachten, die eine klare Verurteilung des Nationalsozialismus enthielten, blieben aus politischen Gründen in der Schublade. Selbst die später immer wieder als Beleg für die NS-kritische Haltung des Vatikan herangezogene Papst-Enzyklika "Mit brennender Sorge" (1937) wurde inhaltlich abgeschwächt. So wird der Nationalsozialismus an keiner Stelle beim Namen genannt, die Verurteilung von Rassismus und Nationalismus wird nicht theologisch begründet.

Chronische Erfolglosigkeit

Auch die von Pius XII. im Jahr 1939 lancierten Friedensinitiativen litten nicht nur unter chronischer Erfolglosigkeit, sondern auch an ihrer betonten diplomatischen Äquidistanz. Während die westlichen Demokratien längst eingesehen hatten, dass NS-Deutschland mit Beschwichtigung nicht mehr zu begegnen war, übte der Heilige Stuhl weiter eiserne Zurückhaltung und verurteilte nicht einmal den Einmarsch Hitlers in die "Resttschechei" im April 1939.

Passivität des Papstes

So verwundert es nicht, dass sich selbst Mitglieder der Kurie verbittert ob der Passivität des Papstes zeigen. : "Ich fürchte, die Geschichte wird dem Heiligen Stuhl vorzuwerfen haben, er habe eine Politik der Bequemlichkeit für sich selbst verfolgt und nicht viel mehr", schrieb französische Kardinal Eugene Tisserant am 11. Juni 1940, nachdem Adolf Hitlers Armee in Frankreich einmarschiert war und der deutsche Diktator damit halb Europa niedergeworfen hatte.

 

 

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