Historiker:
Vatikan gegenüber NS-Regime "schaumgebremst"
Seine
Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Regime in Deutschland ist
kein Ruhmesblatt für den Vatikan. Diese Einschätzung bestätigt ein
aktuelles Buch des deutschen Historikers Gerhard Besier ("Der Heilige
Stuhl und Hitler-Deutschland").
Obwohl
er die NS-Rassenideologie rundweg ablehnte, begegnete der Heilige Stuhl dem
Hitler-Regime in den 1930er Jahren schaumgebremst, um Repressalien gegen die
dortige katholische Kirche zu verhindern. Hilferufe verfolgter Juden seien
vom Vatikan ignoriert worden, außer wenn es sich dabei um Konvertiten zum
Katholizismus gehandelt habe.
Auf klare Worte verzichtet
Besier
bekam für sein Buch Zugang zu den bisher unter Verschluss gehaltenen
Archiven der apostolischen Nunziaturen in München und Berlin für die Jahre
1922 bis 1939. Der Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für
Totalitarismusforschung in Dresden stimmt zwar nicht in die harsche Kritik
an, die an dem angeblich "deutschlandfreundlichen" Papst Pius XII.
(1939-58) geübt wird. Er hält aber fest, dass Pius XII. schon während
seiner Zeit als Nuntius in München und Berlin (1917-30) und
Kardinalstaatssekretär (1930-39) aus außenpolitischen Gründen auf klare
Worte gegenüber dem NS-Regime verzichtet habe.
In Faschismus Verbündete gesehen
Der
Vatikan habe unter der Ägide seines Vorgängers, Papst Pius XI., überdies
den fatalen Fehler gemacht, in Faschismus und Nationalsozialismus einen Verbündeten
gegen liberale und bolschewistische kirchenfeindliche Tendenzen zu sehen. Während
das beim italienischen Diktator Benito Mussolini und den katholischen
Diktaturen in Österreich, Polen oder Spanien anfangs der Fall gewesen sei,
habe der Nationalsozialismus der Kirche niemals den geforderten Freiraum
zugestanden.
Nicht nur passiv
Besier
weist nach, wie der Heilige Stuhl in der Auseinandersetzung mit dem
aufstrebenden Nationalsozialismus nicht nur passiv war, sondern auch
Zerschlagung der katholischen Opposition gegen Hitler duldete und sogar die
deutschen Bischöfe zurückpfiff, als sie gegen das Hitler-Regime mobil
machten. Stattdessen begrüßte Pius XI. die Machtergreifung Hitlers im März
1933 mit den Worten: "Der Hitler ist der erste und einzige Staatsmann,
der öffentlich gegen die Bolschewisten spricht. Bisher stand der Papst
alleine da."
Beziehungen zu Berlin
Das
vom Hitler-Regime im Mai 1933 geschlossene Konkordat mit dem Heiligen Stuhl
stellte sich für diesen eher als Bürde heraus. Obwohl Übergriffe auf
Katholiken auf der Tagesordnung standen und konvertierte Juden trotz
heftiger Interventionen der Kirche nicht von den Rassengesetzen ausgenommen
wurden, brach der Heilige Stuhl seine diplomatischen Beziehungen zu Berlin
nicht ab. "Die Welt soll sehen, dass wir alles versucht haben, um in
Frieden mit Deutschland zu leben", verteidigte Pius XII. diese Politik
noch im März 1939.
Gutachten blieben in Schublade
Mehrere
von Vatikan-Experten ausgearbeitete theologische Gutachten, die eine klare
Verurteilung des Nationalsozialismus enthielten, blieben aus politischen Gründen
in der Schublade. Selbst die später immer wieder als Beleg für die
NS-kritische Haltung des Vatikan herangezogene Papst-Enzyklika "Mit
brennender Sorge" (1937) wurde inhaltlich abgeschwächt. So wird der
Nationalsozialismus an keiner Stelle beim Namen genannt, die Verurteilung
von Rassismus und Nationalismus wird nicht theologisch begründet.
Chronische Erfolglosigkeit
Auch
die von Pius XII. im Jahr 1939 lancierten Friedensinitiativen litten nicht
nur unter chronischer Erfolglosigkeit, sondern auch an ihrer betonten
diplomatischen Äquidistanz. Während die westlichen Demokratien längst
eingesehen hatten, dass NS-Deutschland mit Beschwichtigung nicht mehr zu
begegnen war, übte der Heilige Stuhl weiter eiserne Zurückhaltung und
verurteilte nicht einmal den Einmarsch Hitlers in die
"Resttschechei" im April 1939.
Passivität des Papstes
So
verwundert es nicht, dass sich selbst Mitglieder der Kurie verbittert ob der
Passivität des Papstes zeigen. : "Ich fürchte, die Geschichte wird
dem Heiligen Stuhl vorzuwerfen haben, er habe eine Politik der
Bequemlichkeit für sich selbst verfolgt und nicht viel mehr", schrieb
französische Kardinal Eugene Tisserant am 11. Juni 1940, nachdem Adolf
Hitlers Armee in Frankreich einmarschiert war und der deutsche Diktator
damit halb Europa niedergeworfen hatte.
Weitere News zum Thema:
- 05. 01. 2005: Historiker:
"Pius XII. verweigerte Rückgabe jüdischer Kinder nicht"
- 28. 12. 2004: Zeitung:
Pius
XII. untersagte 1946 Rückgabe jüdischer Kinder an ihre Eltern
- 14. 12. 2004: Vatikan:
Öffnung der Geheimarchive bis 1939 steht bevor
- 28. 06. 2004: Vatikan
veröffentlichte Archive seiner Kriegsgefangenenhilfe
- 30.
04. 2004: Vatikan-Historiker:
Päpste über Nazi-Politik genauestens informiert
-
15. 01. 2004: Vatikan
zögerte mit Protest gegen NS-Regime aus taktischen Gründen
- 20. 02. 2003: Deutscher
Jesuit rief Vatikan 1934 zu klarem Wort gegen Hitler auf
- 20. 12. 2002: Vatikan
deutet Mängel im Wirken von Pius XII. an
- 30. 10. 2002: Papst-Kenner:
"Pius XII. war kein Feigling"
- 29. 10. 2002: Pius
XII: Vatikan will "Berlin-Akten" öffnen
- 24. 09. 2002: Politologe
Goldhagen: Katholische Kirche und der Holocaust
- 23. 01. 2002: Wollte
Papst Pius XII. Hitler vom Teufel befreien?
|