News 07. 06.
2005 |
Islamexperte Tibi: Islam braucht Entpolitisierung
Scharfe Kritik an fundamentalistischen Entwicklungen im Islam hat der Göttinger Politikwissenschaftler Bassam Tibi geübt. Die Idee des "Gottesstaates" sei keine traditionelle Vorstellung des Islam, sondern erst im 20. Jahrhundert entstanden, betonte Tibi.Bei einem Vortrag in Wien im Rahmen des
Veranstaltungszyklus "Politik mit Gott - Religiöser Fundamentalismus
als weltlicher Machtanspruch?" wies Tibi darauf hin, dass die gegenwärtige
Tendenz im Islam, alle Lebensbereiche bestimmen zu wollen, nicht unbedingt
islamtypisch sei. Der Islamwissenschaftler verwies auf Entwicklungen im
Islam vom 9. bis 12. Jahrhundert: "Lange bevor das Christentum mit der
Aufklärung konfrontiert wurde, entstand damals unter Gelehrten ein
islamischer Rationalismus, der die Sphäre des Glaubens von der Sphäre der
Vernunft strikt trennte". Diesen Rationalismus müsse der Islam wieder
entdecken, so Tibi. Das sei der einzige Schutz vor dem Islamismus, einer
religiös begründeten Politik. Islamismus nicht spirituell
Laut Tibi habe der Islamismus nichts Spirituelles an
sich, sondern verfolge nur das Ziel der Errichtung eines Gottesstaates mit
der Einführung der "Scharia" als Gesetzgebung. Die Idee des
"Gottesstaates" sei auch keine alte islamische Tradition; sie sei
erst im 20. Jahrhundert aufgekommen, erstmals bei den Muslim-Bruderschaften
in Ägypten. Den Islamismus gebe es nicht nur in seiner kriegerischen Form -
etwa im Terrorismus, sondern auch als friedliche Variante, so Tibi.
Demokratie werde hier nur als Mittel zu eigenen Herrschaftszwecken
akzeptiert, wie dies laut Tibi am Beispiel der türkischen islamischen
Regierungspartei AKP (Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei) zu sehen sei.
Deshalb spreche er sich für eine konsequente "Sicherheitspolitik"
gegenüber dem Islamismus aus, so Tibi, der sich zugleich überzeugt zeigte,
"dass Muslime heute von Christen die Trennung von Politik und Öffentlichkeit
einerseits und Glaube als privater Angelegenheit andererseits" zu
lernen hätten. "Politik mit Gott"
Die Veranstaltungsreihe "Politik mit Gott - Religiöser
Fundamentalismus als weltlicher Machtanspruch?" ist eine gemeinsame
Initiative des Katholischen Akademikerverbandes der Erzdiözese Wien und der
Evangelischen Akademie. Pelinka über Demokratie und Religion
Bei der Auftaktveranstaltung der Vortragsreihe hatte
der Innsbrucker Politikwissenschaftler Anton Pelinka darauf hingewiesen,
dass Demokratie und Religion nur dann kompatibel seien, wenn beide ihre
eigenen Sphären akzeptieren würden, auch wenn beide nicht mit letzter
Konsequenz zu trennen seien. Religion sei immer auch ein Faktor der
politischen Mobilisierung, wie ein Blick auf die USA beweise. Während
Politik und Religion nicht gänzlich voneinander getrennt werden könnten,
zeigten aber beispielsweise die USA und Frankreich, dass eine vollständige
Trennung von Kirche und Staat realisierbar sei, meinte Pelinka.
Hintergrund: - Der Islam: Friedenspotential oder Aufruf zum "heiligen Krieg"? - Unterwegs zum universalen Gottesstaat ? Der Islam als realisierte prophetische Botschaft
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