News 26.01.2006

Zeitungskommentare zur Enzyklika

Die erste Enzyklika von Papst Benedikt XVI. hat weltweit ein starkes Medienecho ausgelöst. Und auch die Kommentatoren der Donnerstags-Zeitungen analysieren und bewerten das Lehrschreiben „Deus caritas est“.

"Frankfurter Allgemeine Zeitung":

"Mit der ersten Enzyklika will ein Papst in die Welt hinausrufen, was ihm zeit seines Lebens am meisten auf dem Herzen brannte, seinen Verstand beschäftigte und ihm für sein Pontifikat am dringlichsten erscheint. Benedikt XVI. verkündet in seinem ersten päpstlichen Rundschreiben eigentlich nur drei Worte: Deus caritas est (Gott ist die Liebe). Nach alter Tradition wird eine Enzyklika mit den Anfangsworten überschrieben. Hier geben sie nicht nur den Titel an, sondern sind schon Inhalt. Und das betrifft zuerst das erste Wort: Gott will der Papst nennen, bezeugen und beschwören, ihn anbeten und ihn bitten, weil von ihm zu reden das wichtigste ist, wenn Christentum und Kirche eine Zukunft haben sollen. Aber der Fanfarenstoß des ersten Wortes bedeutet mehr. Benedikt verordnet in dieser programmatischen Enzyklika der Weltkirche nicht etwa eine neue Marketingstrategie, als ob man es nach dieser oder jener Kirchenreform (oder der Abwehr so mancher Veränderung), nach dem Eintreten für mehr Gerechtigkeit und Frieden, nach aus der Not geborenen Seelsorgeplänen oder jahrelangem Streit über Abtreibung, Verhütung und den Zölibat nun auch einmal wieder mit dem lieben Gott probieren sollte. Der Theologe auf dem Stuhl Petri setzt Gott an den Anfang, weil er in diesem einen Wort das Wohl des einzelnen Menschen und das heilende Ziel der Menschheit sieht, weil darin sein eigenes lebenslanges Bemühen zusammengefasst ist. (...) Und selbstverständlich ist vom christlichen Gott die Rede. Nicht aus fundamentalistischem Dünkel, sondern weil Gott selbst den Menschen der jüdisch-christlichen Kultur aufgetragen hat, sein liebevolles Handeln in und mit der Menschheit zu bezeugen. Das klingt nachhaltig fromm. Doch aller Voraussicht nach wird der öffentliche Diskurs in den Ländern mit christlichen Traditionen wieder religiöser - in den Vereinigten Staaten ist das in vollem Gang -, allein schon, weil immer mehr Zeitgenossen begreifen, welcher Reichtum des Menschlichen und der geschichtlichen Weisheit ihnen mit der Religion verloren ginge."

"die tageszeitung" (taz) (Berlin):

"Das Ganze hat natürlich seine absurden Seiten. Ein alter Mann schreibt über die Liebe. Einer, wohlgemerkt, der - seit mehr als einem halben Jahrhundert - keinerlei Liebe im sexuellen Sinne des Wortes erfahren durfte. Er verkündet das, was er angesichts dieser Erfahrung unter Liebe versteht, allen Menschen, ja der Milliardenschar katholischer Christinnen und Christen ziemlich verbindlich (wenn auch nicht 'unfehlbar'). Und: Er schwärmt von der Liebe. (...) Von einer programmatischen Schrift aber kann bei dieser Enzyklika keine Rede sein. (Kirchen-) politische Aussagen finden sich so gut wie keine. Reizthemen wie Homoehe, Aids, Empfängnisverhütung kommen mit keinem Wort vor, obwohl dies beim Thema Liebe durchaus möglich, ja fast erwartbar gewesen wäre. Stattdessen hat der Papst einen Hymnus auf die Liebe geschrieben - und man kann darüber streiten, ob das nicht auch eine programmatische Bedeutung haben könnte. (...) Für ihn ist die Liebe etwas Himmlisches auf Erden. Durch Gottesliebe zur Menschenliebe und durch Menschenliebe zur Gottesliebe, so ließe sich das Schreiben zusammenfassen. Das ist so neu nicht, aber gut geschrieben, was nicht weiter verwundert, denn der elegante Stil Ratzingers wurde selbst von den Liberalen in der Kirche oft gelobt, die seit Jahrzehnten unter ihm leiden..."

"Neues Deutschland" (Berlin):

"Interessant an Ratzingers Reflexionen über 'die Frage nach dem Verständnis und der Praxis der Liebe gemäß der Heiligen Schrift und der Überlieferung der Kirche' sind vor allem jene Passagen, die Einblick geben in das politische Denken des deutschen Pontifex. So sieht er zwar 'das Erbauen einer gerechten Gesellschafts- und Staatsordnung' als eine 'grundlegende Aufgabe, der sich jede Generation neu stellen muss'. Allerdings sei 'dies nicht der unmittelbare Auftrag der Kirche'. Schon vor Jahrzehnten hatte Joseph Ratzinger als Glaubenspräfekt jene gemaßregelt, die das anders sahen. Vor allem die Befreiungstheologen, die in Lateinamerika Revolution predigten. In seinem Rundschreiben, das de facto ein päpstliches Regierungsprogramm darstellt, wendet sich Benedikt XVI. nun mit Vehemenz gegen den 'totalen Versorgungsstaat, der alles an sich zieht'. In einer Zeit, in der sich der Staat als Erfüllungsgehilfe der Wirtschaft von sozialen Funktionen immer mehr verabschiedet, wirkt diese Polemik einigermaßen bizarr. Und da die Papst-Kirche, wie es aus der Enzyklika hervorgeht, ihre Aufgabe nicht in der Veränderung des Elends, sondern in dessen Verwaltung sieht, kann sich der Staat getrost weiter von solchem 'Ballast' befreien."

"Stuttgarter Zeitung":

"Über den künftigen Kurs des Kirchenlenkers gibt das Schreiben nur indirekt Aufschluss. Es fällt vor allem auf, dass Benedikt XVI. mit der Liebe einen zentralen Begriff des Christentums thematisiert. Das legt den Schluss nahe, der Papst wolle die rechte Sicht des Glaubens zunächst in den eigenen Reihen stärken. Während sein Vorgänger Johannes Paul II. es als Hauptaufgabe sah, die frohe Botschaft in die Welt hinauszutragen, setzt Benedikt offenbar auf einen Kurs der Selbstvergewisserung. Ob dies langfristig die hohe Aufmerksamkeit sichert, ist zweifelhaft."

"Trouw" (Den Haag):

"Mit dieser Enzyklika hat der Papst einen ermutigenden Einstand gegeben. Aber gerade das wirft auch Fragen auf wegen seiner früher eher kläffenden und beißenden Erscheinung. Wie verhalten sich seine liebevollen Worte dazu? Wie müssen wir die Liebe begreifen im Verhältnis zu umstrittenen Dingen wie der Heirat von Homosexuellen, dem Verbot der Pille, der Frau in kirchlichen Ämtern und dem Zölibat? Mit seiner Ode an die Liebe weckt der Papst Erwartungen, die er erfüllen muss. Eine so hochgestimmte Enzyklika darf nicht in Unverbindlichkeit untergehen..."

"La Croix" (Paris):

"Der Papst baut keine künstlichen Gegensätze auf. So kann keine Rede davon sein, politisches und soziales Handeln für eine gerechtere Gesellschaft (ohne Vermengung der Rollen, die Kirche, Staat und die aktiven Laien spielen) links liegen zu lassen. Es wird aber immer notwendig sein, erklärt der Papst, noch etwas draufzulegen, etwas, das man den Dienst der Liebe nennen kann. Und dieser Dienst der Liebe ist nie überflüssig und rechtfertigt karitatives Handeln mit spezifisch christlicher Motivation (aber ohne Bekehrungseifer) an der Seite all derer, die für die Armen arbeiten. Von dem Gläubigen wird also keine besänftigende oder allgemeine, abstrakte Liebe verlangt."

"La Repubblica" (Rom):

"Wer noch immer dem Stereotyp Joseph Ratzingers als 'Panzerkardinal' nachhing, muss sich jetzt widerlegt fühlen. Der deutsche Pontifex macht darauf aufmerksam, dass die heutige Welt, die geistig zersplittert und orientierungslos ist, klare Worte braucht. Und die Liebe ist das klarste und das am hellsten scheinende Wort von allen. Es handelt sich um eine anspruchsvolle Botschaft, auch im Hinblick auf das Verhalten der Kirche und ihrer Vertreter. In dieser Enzyklika enthüllt der Papst zugleich die Achse, um die sich das Pontifikat Ratzingers drehen wird: Sich auf das Wesentliche konzentrieren und die Fundamente des Glaubens in der heutigen Welt verteidigen."

"La Stampa" (Turin):

"Benedikt XVI. hat sein Pontifikat in einem ehrwürdigen Alter begonnen und er hat auf sehr bedeutsame Weise gewollt, dass seine erste Enzyklika den Christen - und an sie war dieses Schreiben in der Tat gerichtet - das Wesentliche des Christentums in Erinnerung bringt, also das, was das Christentum einzigartig macht unter den Religionen, auch unter den monotheistischen (...) Vielleicht könnten sich einige Leser etwas unzufrieden fühlen, angesichts eines Dokuments, das, bei oberflächlicher Lektüre, als wenig pragmatisch und fast schon abstrakt erscheinen mag."

"The Times" (London):

"Für seine erste Enzyklika hätte sich Papst Benedikt XVI. mit einem Dilemma der Moderne befassen können wie der Bioethik. Er hat stattdessen weiter ausgeholt und auf diese Weise eine Bewertung der wohltätigen Mission der Kirche - ein Werk, das zur Zeit von Johannes Paul II. bereits in Arbeit war - dazu genutzt, eine lyrische und leidenschaftliche Abhandlung über die verschiedenen Formen der Liebe zu schreiben, erotisch wie göttlich, und über die Macht der Liebe, zu heilen und zu inspirieren. In Stil und Inhalt ist diese Enzyklika mystisch und sie ist ausdrücklich ein Text für unsere Zeiten."

"Libération" (Paris):

"Als er noch der 'Großinquisitor' war, der Präfekt der Römischen Glaubenskongregation, nannte man ihn den 'Panzerkardinal'. Papst seit vergangenem April, scheint Joseph Ratzinger inzwischen mehr ein Anhänger der Schneckenstrategie zu sein. Seine mit großer Spannung erwartete erste Enzyklika sollte den Ton für sein Pontifikat angeben. Doch sie enttäuscht selbst die Vatikan-Intimkenner. Auch nach neun Monaten auf dem Apostolischen Stuhl sei immer noch Warten angesagt, meint der Vatikan-Experte Marco Politi: Der Text ist kein Programm.

"El Mundo" (Madrid):

"Die Wahl von Joseph Ratzinger zum Nachfolger von Papst Johannes Paul II. löste damals in besonders liberalen Kreisen der Kirche große Enttäuschung aus. Eine britische Zeitung bezeichnete den Deutschen gar als einen 'Rottweiler Gottes'. Seither sorgt der neue Papst ständig für neue Überraschungen. Das gilt auch für seine erste Enzyklika, in der Benedikt XVI. sich als ein Prophet der Liebe erweist. Der Papst übt Kritik an jenen, die den Namen Gottes mit Rache, Hass und Gewalt in Verbindung bringen. Diese Worte sind nicht nur an die Propheten des Hasses im Islam gerichtet, sondern auch an wichtige Führer in der westlichen Welt."

"Süddeutsche Zeitung" (München):

"Neben einem wilden Kapitalismus erteilt Benedikt XVI. auch einem 'totalen Versorgungsstaat' eine Absage. Die Menschen brauchten keinen alles regelnden und beherrschenden Staat, sondern einen, der die sozialen Aktivitäten der Gesellschaft großzügig unterstützt. Neben den einzelnen Gläubigen müsse auch die katholische Kirche als Ganzes 'Liebe üben', den Notleidenden helfen und dabei mit den anderen Kirchen zusammenarbeiten. Dabei solle sie sich vom Glauben leiten lassen, unabhängig von politischen Parteien und Ideologien handeln und das Gespräch mit all jenen Menschen suchen, die sich um den Zustand der Welt sorgten."

"Neue Zürcher Zeitung" (NZZ):

"So verliebt ist Benedikt in seine Metapher von der reinigenden Kraft des Glaubens vis-à-vis der Vernunft, dass er sie mehrmals wiederholt. Aber dadurch wird sie nicht unbedingt einleuchtender. Nicht weniger als die Vernunft hat sich nämlich der Glaube seiner Kirche als anfällig für Verblendungen durch Machtansprüche und Partikularinteressen erwiesen. Unter den Vorgängern Benedikts gibt es manche, denen mehr Vernunft in Lebenswandel und Lehre wohl angestanden wäre."

"Tages-Anzeiger" (Zürich):

"Eine Ode auf die Liebe. Ausgerechnet von Joseph Ratzinger! Ausgerechnet vom einstigen Glaubenswächter im Rufe des Großinquisitors! Man wird den Eindruck nicht los, als wolle Benedikt XVI. mit seiner ersten Enzyklika sein Image korrigieren. Ist doch das Thema Liebe kirchlich-dogmatisch erschöpfend behandelt. Auch Papst Benedikt hat dazu kaum Neues zu sagen. Joseph Ratzinger ist offensichtlich liebesbedürftig. Hat er die Weltöffentlichkeit durch seine früheren Dokumente zu Ökumene, Sexualität oder Befreiungstheologie jeweils brüskiert, so vermeidet er in diesem päpstlichen Rundschreiben Härten und Schärfen..."

"ABC" (Madrid):

"Benedikt XVI. legt viel Wert auf begriffliche Präzision. Der Text reflektiert die ausgeprägten intellektuellen Qualitäten des Papstes und die didaktischen Fähigkeiten eines guten Lehrers. Auch die Kirche muss lieben, heißt es in der Enzyklika. Damit hebt der Papst die ökumenische Seite seines Pontifikats hervor, das durch eine Öffnung der katholischen Kirche zur protestantischen und orthodoxen Welt gekennzeichnet ist. Benedikt XVI. erteilt eine glänzende Lektion in Sachen Theologie und Anthropologie. Die Enzyklika ist das Werk eines Papstes, der seine hohe Intelligenz in den Dienst der Kirche und der heutigen Gesellschaft stellt."

"Der Tagesspiegel" (Berlin):

"Benedikt XVI. stellt die soziale Aufgabe - von der Sorge für Bedürftige bis zur Mitwirkung an einer gerechteren Welt - in den Mittelpunkt. Das Soziale sei ein Wesensbestandteil der katholischen Kirche - gleichberechtigt mit der Feier der Sakramente und der Verkündigung des Evangeliums: 'Der Liebesdienst ist für die Kirche nicht eine Art Wohlfahrtsaktivität, die man auch anderen überlassen könnte, sondern er gehört zu ihrem Wesen, ist unverzichtbarer Wesensausdruck ihrer selbst.' Gleichzeitig legt der Papst die Politik auf das Ziel der Gerechtigkeit fest (...) Während Benedikt im zweiten Teil der Enzyklika eine Brücke zur Welt schlägt, dürfte der erste für Andersdenkende schwer verdaulich sein. Da wird wieder der 'zum Sex degradierte Eros' verteufelt, der den Menschen zur Ware mache."

"die tageszeitung" (taz) (Berlin):

"Der Papst ist ein belesener Mann. Er zitiert Vergil, Descartes und Nietzsche, und er scheint es auch gut zu meinen mit den Menschen, denen er Hirte sein will. Die höchste Seligkeit gönnt er uns, die wahre, die wahrhafte Liebe, und er ist gebildet genug, um zu wissen, dass in entfremdeten Verhältnissen, in denen alles, also vor allem auch die Liebe, eine Ware ist, kein Glück zu haben ist. Leider aber ist der Papst, und das macht ihn als Denker sehr dürftig, kein Suchender. Die Ergebnisse seiner Forschungen stehen im Gegenteil immer schon vorher fest. Das ist so langweilig wie unseriös. Bräsig und aufgeschäumt formuliert er: 'Reinigungen und Reifungen sind nötig, die auch über die Straße des Verzichts führen', knallt mit der Peitsche der Zucht herum und behauptet ohne Begründung, 'Quelle der Liebe' könne der Mensch ausschließlich werden, wenn er selbst 'aus der ersten, ursprünglichen Quelle' trinke, 'bei Jesus Christus, aus dessen geöffnetem Herzen die Liebe Gottes selber entströmt'. Von der zwanghaften, unappetitlichen Blutsäuferrhetorik abgesehen: Klar, warum nicht bei Jesus die Liebe suchen? Abgefuckter als eine Internet-Partnerbörse ist der Tempelkrempel auch nicht."

 
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