News 22 05. 2006

Auschwitz-Überlebender: "Ich wollte nur eines: leben"

Der Zeitzeuge Henryk Mandelbaum zeigt dem Papst in Auschwitz-Birkenau die Todeszone. Ein Bericht von Andrea Steinhart/"Kathpress".

"Wie viele Leichen ich verbrennen musste? Das weiß ich nicht genau, aber es waren tausende". Ungeduldig beantwortet Henryk Mandelbaum Fragen. Dass seine Zuhörer ihn verstehen, glaubt er sowieso nicht. Denn was der 84-jährige Auschwitz-Überlebende zu erzählen hat, ist unvorstellbar, wahnsinnig.

Wenn der Papst Zeit hat,…

Mandelbaum musste in den Krematorien des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau arbeiten. Am Sonntag wird er Benedikt XVI. die Überreste der Gaskammern, der Krematorien und der Verbrennungsgruben zeigen, wenn der Papst in Auschwitz seine Polen-Reise abschließt. "Wenn Benedikt XVI. Zeit hat, erzähle ich ihm, was ich dort gesehen habe", sagt Mandelbaum.

In einer Nacht veränderte sch alles

Vom Frühjahr 1944 bis Jänner 1945 war Mandelbaum Häftling im Sonderkommando von Auschwitz. Nach Ghetto, Zwangsarbeit und Gestapo-Haft kam er als junger Mann mit 21 Jahren nach Auschwitz. Hier nahm man ihm den Namen und gab ihm stattdessen die Nummer 181.970, eintätowiert auf seinen linken Unterarm. Dann wiesen ihn die Aufseher dem berüchtigten Sonderkommando zu. "Damals hat sich innerhalb einer Nacht mein Leben verändert - nichts war mehr wie am Tag zuvor. Nur die Sterne sind noch gleich geblieben", erinnert sich Mandelbaum.

"Man muss sie schonen"

Seit einigen Jahren begleitet der jüdische Pole regelmäßig Gruppen in Birkenau und zeigt ihnen, was von seiner damaligen "Arbeitsstätte" noch übrig ist: "Den jungen betrübten und traurigen Leuten erzähle ich nicht immer alles ganz genau. Man muss sie schonen".

"Ich wollte die Lebenden nicht sehen"

Die Häftlinge des Sonderkommandos unterschieden sich von den anderen im Lager. Sie wurden isoliert untergebracht und in anders aussehende Häftlingskleidung gesteckt. Eingesetzt waren die Männer täglich im Zentrum der Vernichtung. Mandelbaum musste die Ankommenden in Auschwitz beruhigen, ihnen beim Ausziehen helfen und sie in die Gaskammer bringen. "Wenn die Transporte kamen, versuchte ich mich immer zu verstecken; ich wollte die Lebenden nicht sehen", erzählt er: "Was hätte ich ihnen auch sagen sollen, wenn sie mich angesprochen hätten? Ich hätte doch lügen müssen".

"Ich bin in der Hölle"

So wie die Menschen in die Gaskammer geführt wurden, starben sie auch: nackt. Die Mütter und Väter eng umschlungen mit ihren Kindern; Paare, die sich an den Händen hielten. Mandelbaums Arbeit bestand darin, die toten Körper auseinanderzureißen und herauszuschleifen. Die Kammern musste er von Blut und Exkrementen reinigen, die Toten nach Wertsachen untersuchen, ihnen die Haare abschneiden und Goldzähne ziehen. Dann mussten die Sonderkommando-Häftlinge die Leichen ins offene Feuer der Verbrennungsgruben werfen oder in die Öfen der Krematorien schieben. "Ich dachte nur eins: Ich bin in der Hölle".

Eine Revolte scheiterte

Einen Ausweg für Mandelbaum und die anderen Häftlinge gab es nicht: Wenn sie selbst überleben wollten, mussten sie tun, wozu sie die SS zwang. Viele Sonderkommando-Häftlinge begingen Selbstmord. Fast alle haben laut Mandelbaum ihren Glauben verloren. "Ich aber wollte nur eins: leben", sagt er. Vielleicht wird er das auch Benedikt XVI. erzählen. Am 7. Oktober 1944 wagten einige aus dem Sonderkommando den Aufstand. Hätte er sich daran beteiligt, würde er heute nicht mehr leben. Denn die Revolte scheiterte und endete in einem Blutbad. 451 Häftlinge wurden getötet.

Todesmarsch nach Mauthausen

Als die Deutschen im Jänner 1945 das Lager vor der heranrückenden Roten Armee "evakuierte" und 60.000 Häftlinge auf Todesmärsche Richtung Mauthausen trieb, gelang es Mandelbaum, aus seiner Isolierbaracke auszubrechen und sich unter die anderen Häftlinge in den Evakuierungskolonnen zu mischen. Auf dem Todesmarsch glückte ihm die Flucht.

 

 

 
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