kreuz und quer

Dienstag, 16. 11. 2010, 22.30 Uhr in ORF 2

 

Bewusst gesund – Mut zum Leben: „Erzähl mir vom Verlorenen – Wie Trauerarbeit gelingen kann“ und „Depression – Die Krankheit der Zeit?“ 

Vom 13. bis zum 19. November 2010 widmet sich die ORF-Initiative „Bewusst gesund“ unter dem Motto „Mut zum Leben“ einem besonders wichtigen Gesundheitsaspekt – der Hilfestellung bei Burn-out und Depression. „kreuz und quer“ – präsentiert von Doris Appel – zeigt dazu am Dienstag, dem 16. November, um 22.30 Uhr in ORF 2 Michael Cencigs Film „Erzähl mir vom Verlorenen – Wie Trauerarbeit gelingen kann“, in dem Menschen erzählen, wie es möglich war, dass sich ihre Verzweiflung, Wut und Mutlosigkeit in neuen Lebensmut gewandelt haben. Danach diskutieren mit Michael Hofer der Psychiater und Philosoph Thomas Fuchs, der Psychiater und Leiter des Anton-Proksch-Instituts, Michael Musalek, die Soziologin Charlotte Spitzer vom Institut für Daseinsanalyse in Wien und der Freiburger Theologe Magnus Striet über das Thema „Depression – Die Krankheit der Zeit?“

 

 „Erzähl mir vom Verlorenen – Wie Trauerarbeit gelingen kann“ – 22.30 Uhr, ORF 2

Ein Mann, dessen Frau bei der Geburt des vierten Kindes gestorben ist. Eine Frau, die ihren Mann nach 33 Jahren Ehe verloren hat. Ein Elternpaar, dessen Tochter nur ein Monat gelebt hat. Der Film von Michael Cencig erzählt davon, wie es möglich war, dass sich die Verzweiflung, die Wut und die Mutlosigkeit dieser Protagonisten in neuen Lebensmut gewandelt haben. „Trauer kommt dann auf, wenn etwas Geliebtes unwiederbringlich verloren wurde“, sagt die Trauerbegleiterin Christine Schubert: „Solange noch Hoffnung besteht, das Verlorene wiederzubekommen, hat die Trauer nicht begonnen.“

 

Eva war 33 Jahre mit Hans Georg verheiratet. „Abends sind wir oft stundenlang zusammengesessen und haben geredet. Auch nach dieser langen Zeit hatten wir einander immer viel zu erzählen. Diese Gespräche sind es, die mir jetzt so abgehen.“ In den letzten Wochen vor seinem Krebstod haben Hans Georg und Eva viel über das Sterben und die Zeit danach gesprochen: „Er hat gesagt, er hat keine Angst vor dem Tod. Aber ich hatte so eine Angst“, erzählt Eva: „Er hat sich in dieser Zeit immer nur Sorgen gemacht, wie’s mir geht, wenn er stirbt.“ In der ersten Zeit hat Eva unter der Stille im Haus sehr gelitten. Aber im Nachhinein betrachtet, hat sie diese Stille gebraucht, um den Schmerz zu verarbeiten: „Ich habe geweint, bis ich keine Tränen mehr hatte.“ Eine große Hilfe war Eva die Anteilnahme der Bevölkerung. Das ist der Vorteil, wenn man am Land lebt. Jeder weiß alles von jedem und nimmt Anteil. Jetzt, drei Jahre nach dem Tod ihres Mannes, ist Eva noch nicht ganz über den Berg. Aber sie baut das Haus um. Nicht mehr dunkel, schwer und rustikal will sie wohnen, sondern offen, hell und weit. Neulich hat Eva geträumt, dass Hans Georg mit anderen Frauen tanzte. Und als sie dazu kam, hat er sie weggestoßen. Im ersten Moment war das schlimm, aber jetzt versteht sie das als Aufforderung, ihr neues Leben zu leben.

 

„Meine Trauerarbeit ist die Baustelle“, sagt Harald. Seine Frau ist vor zwei Jahren bei der Geburt des vierten Kindes gestorben. Jetzt baut er das Haus so um, dass jedes seiner Kinder genügend Platz für sich hat, ebenso wie die Familienhelferin, die er nun bitter benötigt. Nach zwei Kindern wollte Harald keines mehr. Aber er gab dem Wunsch seiner Frau nach. Das dritte Kind war eine Problemgeburt, das vierte eine Hochrisikogeburt, wie die Ärzte sagen. Das Risiko war zu groß, das Kind überlebte zwar, aber die Mutter starb – durch einen ärztlichen Kunstfehler, wie später im Rahmen eines Gerichtsprozesses festgestellt wurde. Der Arzt wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

Neben all den existenziellen Problemen hat Harald immer wieder mit Wut- und Hassgefühlen zu kämpfen. Manchmal ist es allein die Verantwortung seinen Kindern gegenüber, die ihn daran hindert, diesen destruktiven Gefühlen nachzugeben.

 

„Verloren habe ich die Möglichkeit, unsere Tochter aufwachsen zu sehen.“ Darum trauert Martin noch heute; dass er Leona-Marie nicht näher kennenlernen durfte: „Nicht einmal außerhalb des Brutkastens konnten wir ihr begegnen. Das eine Mal, als sie aus dem Brutkasten genommen und ihrer Mutter in die Arme gelegt wurde, ist sie gestorben.“ Vor sechs Jahren wurde Andrea zum zweiten Mal schwanger. Es kam zu einer Frühgeburt. Die Überlebenschancen des Mädchens waren gering. 33 Tage nach der Geburt starb Leona-Marie. Aber trotz dieser kurzen Lebensspanne besaß sie für ihre Eltern bereits eine eigene Persönlichkeit: „Sie war eine Kämpferin, darum haben wir sie Leona genannt, die Löwin. Und sie reagierte sehr deutlich auf Zuwendung und Berührung. Gab uns zu verstehen, wann sie berührt werden wollte und wann nicht.“ In einem Karton bewahren Andrea und Martin die wenigen Utensilien auf, die sich in Leona-Maries kurzem Leben angesammelt haben: ein paar Fotos, ein kleiner Löwe, das Taufkleid, ein Schnuller – und der Brief des behandelnden Kinderarztes. Auf ungewöhnlich persönliche Weise hat er damals der Familie geschrieben, dass ihn die Geschichte um Leona-Marie besonders bewegt hat – und er nun selbst Trauerarbeit leisten muss. Hin und wieder holen die Eltern diesen Karton hervor und öffnen ihn, zünden eine Kerze an und erinnern sich ihrer kleinen „Löwin“. „Wenn ich einmal sterbe, wird Leona-Marie die Erste sein, die mich begrüßt“, glaubt Martin: „Dann werde ich sie kennenlernen.“

Die Protagonistinnen und Protagonisten dieses Films haben Trauerarbeit geleistet – und leisten sie weiterhin immer wieder von Neuem. Jede und jeder auf seine Weise. Sie sind durch alle Phasen der Trauer gegangen – und gehen immer wieder von Neuem durch sie hindurch: Trauerarbeit als Lebensaufgabe.

 

„Depression – Die Krankheit der Zeit?“ – 23.15 Uhr, ORF 2

Laut Weltgesundheitsorganisation WHO ist sie DIE neue Volkskrankheit der modernen Wohlstandsgesellschaft. Als „Krankheit der Freiheit“ und gleichzeitig als „Fortschritt des befreiten Individuums“ hat der französische Soziologe Alain Ehrenberg die Depression bezeichnet. Sie sei eine Antwort auf die allgegenwärtige Erwartung von eigenverantwortlicher Selbstverwirklichung und die Kehrseite einer kapitalistischen Gesellschaft, die das Individuum bis zur Erschöpfung fordert. Haben moderne Lebensweisen, die einst einen qualitativen Freiheitsgewinn versprochen haben, tatsächlich neue Formen sozialer Herrschaft und Entfremdung geschaffen? Wann spricht man eigentlich von Depression? Wann von Melancholie? Wie unterscheidet sich das Zeiterleben depressiver Menschen von anderen? Und: Inwieweit können Formen von Depression und Melancholie vielleicht sogar auch als Widerstandspotenzial gesehen werden? Mit Michael Hofer diskutieren: der Psychiater und Philosoph Thomas Fuchs, der Psychiater und Leiter des Anton-Proksch-Instituts, Michael Musalek, vom Institut für Daseinsanalyse in Wien die Soziologin Charlotte Spitzer und der Freiburger Theologe Magnus Striet.

 

„kreuz und quer“ ist nach der TV-Ausstrahlung sieben Tage auf der Video-Plattform ORF-TVthek (http://TVthek.ORF.at) als Video-on-Demand abrufbar.

 

 

 

 
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