kreuz und quer

jeden Dienstag ab 22.30 Uhr in ORF 2

 

kreuz und quer am 24.5.2011:

 

"Bodyguard und Brevier - Mit Bischof Erwin Kräutler am Amazonas"

"Livramento" ("Befreiung") heißt das Schiff, mit dem der austrobrasilianische Bischof Erwin Kräutler am Rio Xingu unterwegs ist, um seine Pfarren zu besuchen. Es ist die einzige Möglichkeit, um an die entlegenen Orte im Amazonas zu kommen. Der Name des Bootes ist Programm. Erwin Kräutler ist ein Kirchenmann, auf den - wegen seines unermüdlichen Engagements für sein unterdrücktes Volk und gegen die Ausbeutung der Natur - ein Kopfgeld ausgesetzt ist. Dass er daher ständig unter Personenschutz steht und stets von Bodyguards begleitet wird, verwundert nicht. Schon einige seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden auf brutalste Weise getötet - weil sie im Namen des Evangeliums sich auf die Seite der Armen und Unterdrückten gestellt haben, Ungerechtigkeit öffentlich angeprangert haben. Kräutlers größte Sorge derzeit ist der Bau eines Wasserkraftwerks am Rio Xingu.

"Belo Monte" heißt das Kraftwerk, das das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt werden soll. Auch der steirische Anlagebaukonzern Andritz hat einen Auftrag für die Lieferung von Turbinen. Der Lebensraum von 30.000 Menschen jedoch würde durch den Bau des Kraftwerks zerstört, prangert Bischof Kräutler an. Durch die Veränderung der Flusslandschaft drohe eine Moskito-Plage - Dengue-Fieber und Malaria wären die Folgen, befürchten die Flussanwohner. Außerdem ist der Fluss die Lebensgrundlage der Menschen hier. Sie leben vom Fluss und vom Handel entlang der wenigen Überlandstraßen. Wird die Flusslandschaft zerstört, schwindet auch ihre Existenz. Die Sorgen der Flussanwohner teilt Bischof Kräutler mit ihnen. Bei seinem Pastoralbesuch ist der geplante Staudamm ein zentrales Thema.

Nur alle zwei bis drei Jahre jedoch schafft es der gebürtige Vorarlberger, die weit entfernten Gemeinden am Rio Xingu zu besuchen. Erwin Kräutler ist nämlich Bischof einer der größten Diözesen der Welt - zugänglich nur über Wasser oder über die staubige Transamazonica.

 

 

"Der Pfad des Kriegers"

Michael Nothdurfter, ein angehender katholischer Priester aus Bozen, ist beeindruckt von den Jesuiten, die sich in Lateinamerika "im Namen der Wahrheit foltern und töten ließen". 1982 geht er als künftiger Jesuiten-Missionar nach Bolivien. Sieben Jahre später sprengt er in La Paz ein Kennedy-Denkmal und verübt ein Attentat auf eine Kaserne, bei dem ein Soldat getötet wird. Und er entführt als Kommandant einer militanten Einheit in einer selbstmörderischen Aktion den bolivianischen Coca-Cola-Direktor Jorge Lonsdale. Er stirbt durchsiebt von den Kugeln der Polizei; mit ihm der Entführte und zwei weitere Kampfgenossen.

Andreas Pichler folgt den Spuren seines Kindheitsfreundes Michael Nothdurfter (1961-1990). Er erzählt die Geschichte Michaels, des Ministranten aus Südtirol, der in Bolivien zum Comandante Miguel wird. Michael war Andreas Pichlers Vorbild, als sie in einem Milieu aufwuchsen, in dem sich alles um die Pfarrkirche drehte. Schon als Jugendlicher ein Idealist und Romantiker, beschließt Michael mit 18 Jahren, Missionar zu werden. Er studiert in London und geht 1982 als Jesuiten-Novize nach Lateinamerika. Nothdurfter lässt sich mitten unter den Armen Boliviens nieder und lernt das soziale Elend kennen. Er arbeitet Tag und Nacht, er identifiziert sich mit den Unterdrückten und nennt sich Miguel. Irgendwann steht dann in seinen Briefen an seine Familie in Südtirol, die Lehre Jesu könne nur mit Waffengewalt durchgesetzt werden. Mit 29 Jahren geht Miguel Nothdurfter in den Untergrund und entführt 1990 als Kopf der Organisation CNPZ - Kommando Nestor Paz Zamora - den Coca-Cola-Repräsentanten Boliviens. Es kommt zu einem blutigen Ende.

Regisseur Pichler reiste nach Bolivien, um die Orte und Menschen aufzusuchen, die in Miguels Leben eine Rolle spielten. Und er findet alles so vor, wie es Michael "Miguel" Nothdurfter in seinen Briefen und Tagebüchern beschrieben hat. Die detektivische Spurensuche wirft Fragen auf - Fragen nach verlorenen Idealen und den Werten einer ganzen Generation. Michaels Freunde betrachten seinen Tod als das traurige Ende einer modernen revolutionären Bewegung. Michaels Briefe und sein Tagebuch der Geiselnahme lassen ihn im Film lebendig werden. Der Mutter fällt es noch heute schwer, über den Tod des Sohnes zu sprechen. Ehemalige Mitglieder des Kommandos bewundern immer noch Miguels Ernst und Disziplin und belächeln sein Ungeschick im Handwerk des Guerilleros. Nothdurfter selbst beschrieb die Zerrissenheit, die aus der Ungeduld entsteht. Er selbst erkannte den "Scheideweg", vor dem er stand. Der Dokumentarfilm "Pfad des Kriegers" kommt an Beweggründe und Psyche dieses unerfahrenen Kämpfers und erprobten Gläubigen, der diesen Widerspruch nicht überlebte, hautnah heran.