Kreuz & Quer

am 8. Februar 2011

Gebetsteppich und Dancefloor - Türkische Jugendkultur in Wien

Sie kennen die neuesten Klingeltöne und surfen gern im Netz. Sie wissen, was modisch gerade angesagt ist, ihr MP3 Player ist voll mit US-Hits, und sie sind politisch informiert. Die türkische Jugendszene in Wien ist so vielfältig wie jede andere auch - einziger Unterschied: Viele Türken bekennen sich dazu, religiös zu sein, und meistern den Spagat zwischen Dancefloor und Gebetsteppich anscheinend auf ganz selbstverständliche Weise.

Diese „neuen Wiener und Wienerinnen“ sind oft in jungen Jahren mit ihren Eltern eingewandert oder wurden in Österreich geboren. Die Kultur und Tradition ihrer Eltern schwingt in ihnen wie eine ferne, exotische und umso anziehendere Ahnung von Heimat - Inbegriff für eine heile Welt der Kindheit oder der dort verbliebenen Großeltern. Was junge Türken in Wien erleben, ist nicht immer nur erfreulich, dennoch ist hier ihr Lebensmittelpunkt und niemand denkt ernsthaft daran, in die Türkei zurückzugehen. Auch deshalb, weil sie dort ebenso als „Fremde“ wahrgenommen werden wie hier. Die beiden Kulturen zu verbinden und vielleicht auch die Unterschiede zu leben, ist nicht immer ganz leicht. Eines haben alle drei exemplarischen Geschichten im Film gemeinsam: sie erzählen von jungen Menschen in Wien – von Menschen, denen man jeden Tag in der U-Bahn, im Park, in den Geschäften begegnet. Von Menschen, von denen man nichts weiß, außer dass sie aufgrund ihrer Religion und Herkunft „anders“ sind. Ob das stimmt oder ob es nicht vielmehr immer um das Individuum und seine speziellen Chancen, Erlebnisse und Möglichkeiten im urbanen Stadtgefüge geht, stellt dieser Film zur Diskussion.

Islam: Freude und Respekt

Wer ein Kopftuch trägt, gilt hierzulande automatisch als rückständig, weiß die 19-jährige Seher. Sie hat sich dennoch freiwillig für das Kopftuch entschieden und ihre Entscheidung bis heute nicht bereut. Die stolze Trägerin eines Nasenpearcings ist das, was man eine moderne Muslimin nennen könnte – sie ist sportlich und top gepflegt und kleidet sie sich nach der neuesten Mode. Sie ist aber auch immer darauf bedacht, ihren Körper zu verhüllen. Islam bedeutet für sie zuallererst Freude und hat weit mehr mit gegenseitigem Respekt und einer ethisch und moralisch integeren Lebensweise zu tun als mit allem, was in den Medien seit den Anschlägen auf die Twintowers darüber zu lesen war. Im 21. Jahrhundert angekommen zu sein, als emanzipierte Frau auf eigenen Beinen zu stehen und streng religiös zu leben – für Seher ist das kein Widerspruch.

„Gemma Park!“

Oguz ist seit einigen Jahren arbeitslos und verbringt seine freie Zeit gern in Parks und in Jugendzentren. Hier trifft er täglich seine Freunde, eine Multikulti-Bande aus dem neunten Wiener Gemeindebezirk. Seine Mutter verließ die sechsköpfige Familie, als er noch sehr klein war, seitdem fehlt etwas in seinem Leben. Aber das gibt er nicht gern zu, weil das ein  türkischer Mann in der Öffentlichkeit oder vor einer Kamera nicht tut. Die Ehr“ ist Oguz sehr wichtig, und Religion bezieht er vor allem auf seine zukünftige Frau. Jungfrau müsse sie sein, auf jeden Fall – auch wenn dieses Gebot für ihn selbst nicht so ganz gilt. Allzu gern vergnügt sich Oguz bis in die Morgenstunden mit den leichtbekleideten, hübschen Mädchen in seiner Lieblingsdiskothek in den Stadtbahnbögen.

„Das Leben hier würde ich in der Türkei nicht haben“

Erkan ist ein Checker, ein Geschäftsmann mit Leib und Seele. Sein Traum: einmal die richtige Geschäftsidee haben und dann durchstarten. Mit seinen Freunden, der „Türkenbagage“, ist er in einem Grätzel im dritten Bezirk aufgewachsen. Er gehörte zu den Lieblingskindern des katholischen Pfarrers und spielte viele Jahre im Pfarrhof Fußball. Mit gleicher Selbstverständlichkeit ging er in die Moschee. Als Kurde gehört Erkan den Aleviten an, den Anhängern der der liberalsten aller Glaubensrichtungen im Islam. Das Auffälligste an Erkan ist eigentlich, dass er einem als Nachbar niemals auffallen würde.

Eine Dokumentation von Thomas Grusch und Elisabeth Krimbacher (Wiederholung vom 9.6.2009)

 

Gesichter des Islam – Wissen und Fortschritt

"Gesichter des Islam" ist eine vierteilige filmische Reise durch die Welt von 1,5 Milliarden Muslimen – Begegnungen mit Menschen und ihrem Glauben zwischen Tradition und Moderne, überraschende Einblicke in Lebensalltag und Überzeugungen muslimischer Gemeinschaften heute.

„Wissen und Fortschritt" suchen wir in Ägypten, Andalusien, Indonesien und in der Türkei. In Kairo und Alexandria geht es um das Ringen des muslimischen Ägypten, traditionsverhaftete Religion und zukunftsträchtige Bildung in Einklang zu bringen. In Kairo führt der junge Imam Abdallah eine der ältesten Moscheen der Medina wie eine Begegnungs- und Bildungsstätte. Der ägyptische Nobelpreisträger Ahmed Zewail fordert bei einem öffentlichen Auftritt neue Anstrengungen in Politik und Bildungswesen. Das goldene Zeitalter von Kultur und Wissenschaft des Islams im mittelalterlichen al-Andalus ist heute noch lebendig: In Córdoba sehen wir die faszinierende Moschee-Kathedrale und die Ausgrabung der Palaststadt Madinat al-Zahra. Der spanische Konvertit Antonio Romero leitet auf seiner Finca zwischen Araberpferden und einer wertvollen Handschriftensammlung eine islamische Bildungsstätte. Der Historiker Emilio Ferrín erklärt das Potential und die Faszination des Islams im historischen und im heutigen Andalusien. Der populäre türkische Theologe Zekeriya Beyaz fordert fortschrittliches Denken im Islam. In einer von Istanbuls religiösen Imam-Hatip-Eliteschulen lernen Jungen in Anzug und Krawatte Koranrezitation, Englisch und moderne Naturwissenschaften, während in Kairo junge Mädchen der besseren Gesellschaft und mit moderner Schulbildung privaten Koranunterricht bekommen. Beispielhaft spielt das ägyptische Bildungsdilemma auch zwischen mittelalterlichem Altstadthandwerk ohne Zukunftsperspektive, einem High-Tech-Zentrum, der neuen Bibliothek von Alexandria und der ehrwürdigen Al-Azhar-Universität - Bildung für zu wenige. Der ägyptische Soziologe Nader Fergany attackiert Männer und Regierungen, wenn es um die Rückschrittlichkeit des Islams geht. Im indonesischen Jakarta könnten beim "Islamic Banking" aus den Traditionen des Islams neue Akzente in der Wirtschafts- und Finanzwelt gesetzt werden.