Die Krone der Schöpfung, das
Schwein, der Mensch –:
Geht doch mit anderen Tieren um!
Der junge Dichter Gottfried Benn
hat einen radikalen Blick auf den Menschen, vor dem jede religiöse
oder humanistische Schönfärbung verblasst. Vor allem hat er einen
mikroskopisch vergrößerten Blick auf die Hinfälligkeit des Körpers.
Als junger Arzt musste Benn auch menschliche Leichen sezieren. Der
Name des Leichenschauhauses war der Titel seines ersten
Gedichtbandes: Morgue. 26 Jahre war Gottfried Benn alt, als die
Sammlung im Jahr 1912 erschien.
Hier diese Reihe sind zerfressene
Schöße
Und diese Reihe ist zerfallene
Brust.
Bett stinkt bei Bett. Die
Schwestern wechseln stündlich.
So beginnt das Gedicht „Mann und
Frau gehen durch die Krebsbaracke“. Wenn ich es lese, sehe ich noch
genau den Schulvormittag vor mir, an dem ich mit 17 Jahren zum
ersten Mal mit diesem Gedicht konfrontiert wurde. Der Schock hat
mir für lange Zeit die Rede verschlagen. Gegen diesen kalten Blick
auf das Sterben hilft keine Beschwichtigung.
Nicht nur die unmittelbare
Erfahrung des Arztes spricht aus seinen ersten Gedichten. In dem
grotesk übersteigerten Blick auf eine Wasserleiche etwa in einem
Gedicht mit dem polemischen Titel „Schöne Jugend“ ist auch das
barocke Vanitas-Motiv gegenwärtig: Alles ist vergeblich. Aber hinter
dieser Warnung steht keine religiöse Zuversicht mehr.
Im
Jahr 1912 ist Gottfried Benns eigene Mutter an Brustkrebs gestorben.
Die Diagnose wurde zu spät gestellt, zwei Operationen hatte sie
hinter sich, die Krankheit ließ sich nicht aufhalten. Als Arzt
wusste Gottfried Benn: gegen die quälenden Schmerzen hilft nur mehr
Morphium. Aber sein Vater, ein strenggläubiger protestantischer
Pastor, verbot das – die Schmerzen seien gottgewollt. Ohnmächtig
musste Gottfried Benn zusehen, wie die Mutter unter Qualen starb.
Ein starker Grund, warum er Zeit seines Lebens nichts mit
herkömmlicher Religion zu tun haben wollte.