Gedanken für den Tag

17. 11. 2008, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr
im Programm Österreich 1

 

"Zum 20. Todestag von Erich Fried"

 

von Cornelius Hell, Übersetzer und Literaturkritiker

 

 

Musik: "Au bar du petit bac" von Miles Davies aus dem Film "Fahrstuhl zum Schafott"

 

 

 

 

 

 

Finde dir Freunde

die deine Meinung

teilen

Es lohnt sich

 

auch wenn du findest

dass sie nicht ganz

einer Meinung mit dir sind

und dass es sich lohnt

 

etwas

von deiner Meinung

zu opfern

dem guten Einvernehmen

 

Freundschaft

wird fest und verlässlich

durch solches

Entgegenkommen

 

Rechthaberei

ist weniger mächtig

und nützlich

als Eintracht

 

Hast du einmal

eine Meinung

gehabt?

Dafür hast du jetzt Einfluss                                                          

 

In diesem Gedicht hat Erich Fried die Mechanismen der Anpassung auf genial einfache Weise beschrieben. Sie beginnt schleichend, mit den kleinen Kompromissen. Einvernehmen und Eintracht soll herrschen, die eigene Meinung wird als Rechthaberei abgetan. „Presseklub“ hat Erich Fried dieses Gedicht genannt und so darauf hingewiesen, dass gerade in den Medien der Anpassungsdruck besonders groß ist, dass sich eine eigene Meinung in den Redaktionen nicht lohnt.

 

Erich Frieds ironischer Ratschlag gibt eine Anleitung, wie man erfolgreich nach oben kommt; und er legt gleichzeitig bloß, was man dabei aufgeben muss: Die eigene Meinung. Das gilt natürlich nicht nur für Journalisten, sondern in vielen Bereichen.

 

Erich Fried ist diesen Weg nie gegangen, sondern hat mit seinen politischen Gedichten viele vor den Kopf gestoßen. Das begann 1966 mit dem Gedichtband „und vietnam und“, in dem er harte Schlaglichter auf die Verbrechen der USA im Vietnam-Krieg warf. Er verärgerte mit seinen undogmatischen Ansichten aber auch linke Gesinnungsgenossen und äußerte als Jude harte Kritik an Israel und seinem Umgang mit den Palästinensern.

 

Gerade diese kompromisslose Haltung fasziniert auch den Schriftsteller Alois Hotschnig, der vor einer Woche mit dem Erich-Fried-Preis ausgezeichnet wurde, an diesem Schriftsteller. Und dass hinter den Antworten, die er gibt, der Mensch Erich Fried sichtbar wird, dass einem aus seinen Gedichten das Augenpaar ihres Autors entgegenschaut. Auch wenn manche Auseinandersetzungen, in die Fried eingriff, Geschichte sind – diese Haltung ist 20 Jahre nach seinem Tod aktueller denn je.

 

 

Buch:

Erich Fried "Politische Gedichte", Verlag Wagenbach 2008