Ostern
steht wieder einmal vor der Tür: Schriftsteller können sich bis in
die Gegenwart diesem Fest und seiner Aura nicht entziehen.
„Auferstehung“ ist eine faszinierende Vorstellung – und ein
interessantes Wort. Die verstorbene deutsche Lyrikerin Marie Luise
Kaschnitz hat ihm ein Gedicht gewidmet.
Manchmal
stehen wir auf
Stehen zur
Auferstehung auf
Mitten am
Tage
Mit unserem
lebendigem Haar
Mit unserer
atmenden Haut
Nur das
Gewohnte ist um uns.
Keine Fata
Morgana von Palmen
Mit
weidenden Löwen
Und sanften
Wölfen.
Die
Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre
Leuchtzeiger löschen nicht aus.
Und dennoch
leicht
Und dennoch
unverwundbar
Geordnet in
geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.
Das Gedicht
„Auferstehung“ von Marie Luise Kaschnitz zeigt, welche Dynamik
dieses Wort auch außerhalb seines gewohnten religiösen Kontextes
hat. Man muss nicht gleich an Jesus denken oder an die Auferstehung
der Toten am Ende der Zeiten, um von Auferstehung fasziniert zu
sein. Ganz nahe liegen die Wörter „aufstehen“ und „auferstehen“
sprachlich beieinander. Das Gedicht nimmt das ernst und sagt:
Auferstehen ist an den banalsten Alltagen möglich, wenn der Wecker
läutet wie an jedem anderen Tag auch. Und es gibt die Auferstehung
nicht erst nach dem Tod, sondern mitten im Leben. Dennoch ist diese
Auferstehung nichts Alltägliches, sondern sie geschieht nur
„manchmal“, in besonderen Augenblicken. Da leuchtet dann mitten im
Alltag und abseits von Kirche und religiösen Riten etwas Sakrales
auf, ein „Haus aus Licht“, wie es am Ende des Gedichtes heißt. Ich
mag dieses Gedicht seit vielen Jahren, weil es mir das gute alte
Osterfest zum Kompass macht, der mir zeigt, ob ich in den
Banalitäten des Alltags versacke oder noch offen bin für ein Wunder.
Buch:
Christian Büttrich/Norbert Miller (Hg.) "Marie Luise Kaschnitz.
Gesammelte Gedichte Bd. 5", Insel Verlag