Gedanken für den Tag

23. 11. 2009,  6.57 Uhr - 7.00 Uhr
im Programm Österreich 1

 

"Zum 300. Todestag von Abraham a Sancta Clara"

 

von Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer

 

 

Musik: Musica Antiqua Köln unter der Leitung von Reinhard Goebel: "Allegro" aus dem "Concerto in D-Dur, op. 26, Nr. 6" von Joseph Bodin de Boismortier

 

 

 

 

 

„Abraham a Sancta Clara saß auf einem Abhang.“ Mit diesem dummen Satz wurde ich seinerzeit an der Universität im Fach Sprecherziehung gequält – man konnte die kurzen und langen a darin so schön hörbar machen. Und es hilft alles nichts: Wenn ich in der Wiener Innenstadt in der Nähe der Minoritenkirche in die kleine Abraham a Sancta Clara-Gasse einbiege, ist er wieder da, der blöde Satz: „Abraham a Sancta Clara saß auf einem Abhang.“ Aber vielleicht ist der Satz ja gar nicht so blöd, wenn ich ihn nicht vergessen kann. Einen Satz, in dem kein anderer Vokal vorkommt als a, den muss man erst einmal zusammen bringen. Und er arbeitet jedenfalls mit einem Mittel, das auch dem barocken Prediger Abraham a Sancta Clara nicht fremd war: Mit dem Klang. Sonst hat der Satz freilich nicht viel mit ihm zu tun. Denn Abraham a Sancta Clara ist wohl öfter auf der Kanzel gestanden als auf einem Abhang gesessen. Und wenn er schon gesessen ist, dann eher am Schreibtisch, denn er hat ziemlich viel geschrieben.

 

Darüber hinaus weiß man eigentlich gar nicht so viel von ihm: Geboren mit dem Namen Johann Ulrich Megerle 1644 als achtes von zehn Kindern im schwäbischen Kreenheinstetten, konnte der begabte Junge die Schlossschule in Meßkirch besuchen; dazu brauchte es allerdings die Zustimmung des Fürsten, denn sein Vater war Leibeigener. Nach dem Besuch des Jesuitengymnasiums in Ingolstadt und des Benediktinergymnasiums in Salzburg trat er 1662 im Kloster Maria Brunn bei Wien in den Orden der Augustiner-Barfüßer ein – so kam er zu seinem Namen Abraham a Sancta Clara. Nach Studien in Wien, Prag und Ferrara – wie international war doch die barocke Welt – wird er Wallfahrtsprediger in der Nähe von Augsburg, aber schon 1672 nach Wien zurückberufen, wo ihn Kaiser Leopold 1677 zum Hofprediger ernennt. Zwei Jahre danach, 1679, wütete hier elf Monate lang die Pest. Abraham lebte fünf Monate unter Quarantäne, wie man heute sagen würde, und er wurde in dieser Zeit zum Schriftsteller. Seine Schrift „Merks Wien“ machte ihn bis heute berühmt. So berühmt, dass sich sein Name verselbständigte – etwa in dem Satz „Abraham a Sancta Clara saß auf einem Abhang.“

 

 

Buchtipp:

Abraham a Sancta Clara: „Hui und Pfui der Welt. Predigten und Schriften“. Nachwort von Franz Schuh. Manesse Verlag, Zürich 2009 (=Manesse Bibliothek der Weltliteratur)