04. 12. 2010, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr
im Programm Österreich 1
"Dies kleine Mädchen Hoffnung -
Unsterblich!" - Über den französischen Philosophen und Dichter
Charles Péguy
von Hubert Gaisbauer, Publizist
Musik: The Harp Consort unter der Leitung von Andrew
Lawrence-King: "Quant ces flouretes florir voi"
„Es war
eine große Prozession“,
schreibt Charles Péguy in seinem „Mysterium der Hoffnung“. „An
ihrer Spitze schritten die drei Gleichnisse: die Parabel vom
verlorenen Schaf, die Parabel von der verlorenen Drachme, die
Parabel vom verlorenen Sohn.“
Charles
Péguys religiöse Texte schöpfen aus Quellen, die ihm noch aus der
Kindheit vertraut sind: Die Evangelien, der Katechismus, die
lateinische Liturgie. Zeile für Zeile sind sie in wiederkehrenden
Mustern gewebt oder geflochten. Man kann den Gedanken beim Wachsen
zusehen.
Die drei
Parabeln nennt er die Parabeln der Hoffnung, sie sind die Kinder
unter allen Parabeln. Ungealtert, frisch, unschuldig, unwissend. Es
sind die Parabeln, in denen die Wertigkeiten auf den Kopf gestellt
sind: Eine verlorene Drachme ist so viel wert, dass das ganze Haus
umgekrempelt wird, ein verirrtes Schaf ist mehr als neunundneunzig
fromme, ein Sohn, der herumvagabundiert war, mehr als jener, der
zuhause geschuftet hat.
Charles
Pèguy hat Angst. Angst vor einer Zeit ohne Jesus, einer Zeit, in der
die Worte und Parabeln Jesu vielleicht noch bewahrt, aber nicht mehr
am Leben sind.
„O nein,
mein Kind“, heißt es im
„Mysterium der Hoffnung, „Jesus hat uns keine toten Worte
gegeben, die wir einschließen müssten in kleine Schachteln (oder in
große), er gab uns nicht Wortkonserven zum Aufbewahren, sondern er
gab uns lebendige Worte, damit wir sie nähren … wie Jesus einen Leib
annahm, um diese lebendigen Worte aussprechen zu können, so müssen
wir, die wir fleischlich sind, diese Worte in uns wärmen und nähren
... in unseren zerbrechlichen Herzen wird ein Wort aufbewahrt und
genährt, das ewiglich nicht zerbrechen wird.
Dafür bürgt
die junge Hoffnung, das kleine Mädchen, ohne das einfach gar nichts
geht. Weil dieses kleine Mädchen Hoffnung immer wieder von vorne
beginnt, jeden Tag, jeden Morgen.
Buchtipp:
Charles
Péguy: „Das Tor zum Geheimnis der Hoffnung“ („Mysterium der
Hoffnung“), Übersetzung: Hans Urs von Balthasar,
Taschenbuch, Johannes Verlag Einsiedeln, 2007